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When life has you back
Zwei Jahre.
Ihr waren zwei Jahre ihres Lebens genommen worden und einfach so im Nichts versunken. Vierundzwanzig Monate waren vergangen ohne ihre Teilhabe und waren vorbeigezogen, ohne, dass sie die Möglichkeit gehabt hätte, etwas in diesen zu bewirken. Und jetzt noch musste die MacBrian immer leise die wichtigsten Fakten vor sich her murmeln, damit sie diese nicht wieder vergaß. Damit sie ihr nicht entglitten, weil es sich anfühlte, als würde ihr nur noch mehr genommen werden, wenn sie es nicht festhielt. Eisern festhielt. Immer wieder konnte sie ihre eigene leise Stimme hören, welche ihr sagte, dass zwei Jahre vergangen waren.
Ihre Eltern waren da gewesen. Ihr Verlobter war da gewesen. Sie alle kamen immer wieder und Ryanne konnte die Blicke auf sich spüren, wenn sie eine Frage arglos stellte, von welcher sie fest überzeugt war, diese noch nicht beantwortet bekommen zu haben. Deren fehlende Antwort ihr unter den Fingernägeln brannte, weswegen sie diese stellte .. nur um dann in den kleinen Pausen immer mehr zu verlieren. Ihr eigenes Herz stocken zu spüren, weil sie dann wusste, dass eine Frage falsch gewesen war – bereits beantwortet und sie sich nur nicht an die Worte erinnern konnte. Die meiste Zeit über starrte sie Luftlöcher in das Zimmer. Ab und an war es ziemlich interessant, der Schnecke zuzuschauen, welche in ihrem Terrarium genau das Gleiche wie die MacBrian in ihrem Bett tat: nichts. Oder eher minimalste Leistung für das größte Ergebnis: Energiegewinnung auf höchstem Niveau, indem man sich dafür nicht einmal großartig anstrengen musste. Sie mochte das kleine Tierchen, welches so weit entfernt war. Wenn man es genau nahm, war alles weit entfernt. Außer ihr Zauberstab, welcher griffbereit auf dem Nachtischschränkchen neben ihr lag und einem Buch, was wahrscheinlich Owen hier vergessen hatte. Ihr Blick glitt darüber ohne die Buchstaben zusammenzusetzen, welche einen Titel ergeben hätten. Im Moment würde Ryanne davon sowieso nichts verstehen. Wo war Owen noch? Er hatte es ihr gesagt .. erst heute Morgen, als er da gewesen war .. sie runzelte die Stirn und starrte angestrengt auf das Buch. Zwei Jahre, es war ein Unfall gewesen. Diese zwei Dinge hatte sie sich gemerkt, doch wohin ihr Verlobter gegangen war, wusste sie nicht mehr. Vielleicht hatte er halt genuschelt bei der Antwort und sie es deswegen nicht verstehen können. Nuschelte Owen überhaupt? Sie war sich nicht sicher, fühlte sich, als wäre dort eine Barriere, welche sie von ihren Erinnerungen abschottete und ihr nicht erlaubte, darauf zuzugreifen.
Das würde wieder, meinten die Heiler.
Es war sowieso ein Wunder, dass sie aufgewacht war und alleine deswegen würde jeder bleibende Schaden nichts im Vergleich zu dem sein, was hätte passieren können. Nämlich ihr Wegbleiben für immer. Nur fühlte es sich nicht danach an. Es war laut und grell, dieses Leben.
Sie hatte die Augen zusammengekniffen.
Denn die Sonne fiel blendend durch ihr Fenster auf das Bett, in welchem sie lag. Welches sie seit .. zwei Jahren nicht verlassen hatte. Dabei wusste Ryanne nicht einmal, welche Zeit war. Welches Jahr es sein musste, welcher Monat. Sie bekam die Tageszeit hin, weil eine Uhr diese anzeigte, doch nirgends hing ein Kalender um sich daran orientieren zu können. Auch den Wochentag hätte sie nicht benennen können. Den Ort durchaus. Sie war schon öfter Mal hier gewesen, wenngleich es niemals wegen etwas Tragischem gewesen war. Nie was Schlimmes. Bis jetzt. Oder bis zu dem Zeitpunkt, wo sie eingeliefert worden sein musste und sobald sie daran dachte, drehte irgendwas in ihrem Inneren durch, sodass ihr Puls zu rasen begann und ihr der Schweiß ausbrach.
Nicht daran denken. Stattdessen starrte sie mit zusammengekniffenen Augen die Vorhänge an, ehe sie vorsichtig nach ihrem Zauberstab griff. Der Gesichtsausdruck von Ryanne hätte dabei vermuten lassen, dass sie sich grade einem Todesser höchstpersönlich zu stellen bereit war, statt nur versucht war, diese blöden Vorhänge magisch zu zuzaubern. Was .. misslang. Klappte nicht. Rührte sich rein gar nichts. Ihre Hand zitterte, mit welcher sie ihren Zauberstab festhielt und sie presste die Lippen zusammen.
Dass es geklopft hatte, hatte sie nicht mitbekommen. Viel zu sehr war sie darin vertieft, sich diesen Kleinkrieg mit den Vorhängen zu liefern, um als Siegerin daraus hervorzugehen. Erst als sie die fremde Stimme hören konnte, wandte Ryanne langsam den Kopf von dem Fenster ab und schaute zur Tür. Sie musterte den anderen Mann lediglich. Irgendjemand schwirrte meistens durch den Raum. Sie hatte kaum je Zeit sich mit der Schnecke anzufreunden, weil irgendjemand rein kam, irgendwas wollte und wieder fort war. Dann brachte man ihr Essen, dann waren es ihre Eltern, dann einer der zehntausend Heiler, welche nach dem Rechten sehen wollten. Und immer fühlte sie sich beobachtet, zur Show gestellt .. entblößt. Wie sie in dem Krankenhaushemd unter der Decke vergraben lag und nichts anderes zutun wusste, wie zurück zu starren. So, wie jetzt. Sie wich dem Blick nicht aus.
Er hoffte, es ging ihr gut. Sie hoffte, er würde irgendwann an einem wirklich schmerzhaften Organversagen leiden und dabei bei Bewusstsein bleiben.
„Hmm“, murmelte Ryanne undefinierbar und runzelte die Stirn, während ihr das Sonnenlicht weiter in den Augen stach und sie ihren Zauberstab nutzlos in der Hand hielt. „Und Ihnen?“ Irgendwann hatte man ja Freundlichkeit gelernt. Wie hieß der Mann noch gleich? Sie machte sich lieber auf die Suche nach einem Namensschild, denn ihre Gedanken zu durchforsten.
Zwei Jahre. Zwei Jahre. Zwei Jahre.
Waren verloren.
Mit diesem Fall musste sich diese Familie nicht beschäftigen. Graham bisher auch nicht. Es war nicht in seinen Aufgabenbereich gefallen und wo der Fall vielleicht noch für andere Heiler interessant gewesen war, war er für Graham doch eher uninteressant gewesen, eher nichtig. Seine Zeit nicht so ganz wert. Nun war er hier abgestellt worden, mehr nach dem Motto: weniger eine Wahl und so ganz war die Entscheidung für ihn noch nicht gefallen, ob dies hier noch interessant werden würde oder doch nur eine dieser Lästigkeiten war, durch die man sich manchmal quälen musste. Ähnlich den Sitzungen mit Teenagern, bei denen man sich Tag ein und aus anhören durfte wie dramatisch ihr nicht entwickeltes Liebesleben war und dass morgen doch die Welt untergehen würde. Eine Welt, von der sie doch so wenig wussten. Und eine Welt, die Ryanne für ganze zwei Jahre ausgeschlossen und verpasst hatte.
Ohne jede Erwartungen an dieses Zusammentreffen betrat Graham den Raum, schloss hinter sich die Tür und traf den direkten Blick der Patientin, ehe seine Aufmerksamkeit kurz zu dem Zauberstab in ihrer Hand huschte. Was sie damit vorgehabt hatte, konnte er nicht ganz ausmachen … oder er gab sich nicht einmal wirklich die Mühe. „Sie versuchen sich schon wieder am Zaubern?“ Erfragen war ihm so viel lieber, wenn Leute ihm mit ihren eigenen Worten sagten, was sie meinten, was sie vorhatten. Es ließ sich so viel mehr daraus lesen, als wenn man nur Schlussfolgerungen aus angebrochenen Bewegungen las, die so viele Interpretationsmöglichkeiten boten, welche Graham nun wirklich nicht alle zu Rate ziehen wollte. „Ich kann mich nicht beklagen.“ Ein höfliches Lächeln huschte über sein Gesicht.
„Ich bin sicher, Sie hatten schon viel Besuch von Heilern in letzter Zeit, es tut mir Leid, dass ich mich dazugesellen muss.“ Graham neigte den Kopf, musterte die Frau eindringlicher, bevor er sich leicht gegen die Kante des Tisches lehnte. Das Klemmbrett mit der selbstschreibenden Feder hielt er offen und mit dem Pergament zu Ryanne zeigend locker in den Händen. „Ich bin Graham Higgs, ich soll Ihnen mehr eine nervliche Stütze auf dem Weg der Genesung sein.“ Für einen kurzen Moment hielt er inne, schwieg. Er ließ sich Zeit damit den Raum zu begutachten, wieder die Frau, die zu den Lebenden zurückgekehrt war. „Wenn das für Sie in Ordnung ist?“
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Gut werden.
Am Ende – wurde alles gut, oder nicht? Es wurde immer alles wieder prima, dass alle Menschen darüber lachen konnten, wie sie denn wirklich so dumm gewesen waren an der Hoffnung zu zweifeln, dass es sich wieder grade biegen würde. Und doch .. was, wenn nicht? Wenn an diesem irrtümlichen Glauben nichts dran war, weil das Schicksal nicht daran gebunden war, sich auf diese Art und Weise für die Menschen zu interessieren, denen es mal eben das gesamte Leben vermasselte .. Ryanne wusste nicht, wie sie auf alles blicken sollte – sie war alleine damit schon beschäftigt genug, überhaupt sich selbst zu erfassen. Nur wahrzunehmen, nicht zu begreifen. So wie sie dalag und ihren Zauberstab in der Hand hielt, weil es doch so einfach war .. nur die Vorhänge zu ziehen – nur ein einfacher Spruch, eine leichte Bewegung .. das wusste sie doch; hatte sie doch vor so vielen Jahren in Hogwarts gelernt und war darin sogar ganz gut gewesen. Dennoch musste sie nun mit Bitterkeit feststellen, welche Hilflosigkeit dadurch entstand, dass sie es nicht konnte. Eine Hexe ohne Zauberkräfte – der nicht einmal ein einfacher Alltagszauber gelingen wollte, war kein Ende, welches gut war. Vielleicht sollte die MacBrian dankbar dafür sein, dass sie überhaupt aufgewacht war und wieder lebte. Dass sie atmete und reden und sehen konnte, dass sie wieder w a r. Dennoch fühlte es sich so unvollkommen an, nicht wirklich richtig; sie hatte dem Leben etwas geraubt durch ihr Aufwachen.
Es würde nicht alles gut werden, dessen war sie sich bewusst. Nicht am Ende, welches sie nicht einmal sehen konnte – auch nicht jetzt und nicht morgen, es würde so schlimm bleiben. Und nur noch schlimmer werden.
Da sollte man doch dankbar für jene sein, die einem zur Seite gestellt wurden.
Sie hatte ihren Zauberstab sinken lassen, wieder auf das Nachttischschränkchen gelegt und musterte den eingetretenen Mann, der nun in ihrem Zimmer stand. Verlegen wandte sie den Blick ab, blinzelte in die Sonne, welche ihr sowieso lästig in die Augen stach und schloss die Lider einfach für einen Augenblick. Als ließe sich damit das bittere Gefühl auf ihrer Zunge schlucken, welches sich darauf festgesetzt hatte. „Die Sonne .. sie blendet mich“, murmelte sie mit schwacher Stimme. Ob sie damit versucht hatte, nun zu zaubern oder sich doch nur mit dem Stab in der Nase popeln wollte, konnte der Mann sicherlich alleine rausfinden. Sie öffnete die Augen wieder, begegnete dem Blick des anderen. Sie konnte nicht verhindern, dass ihr ein trockenes Lachen entwich bei den Worten des Mannes. Auf dem Weg der Genesung – sie würden mit Sicherheit beste Freunde werden, so weit weg wie es ihr überhaupt erst erschien, den ersten Schritt zu setzen. Mehr zutun, wie in einem Bett zu liegen und sich zu fragen, wer sie eigentlich war .. nur um dann über eine der Zeitschriften zu stolpern und den Gedanken gegen ausschweifende Diskussionen von Nagellackfarbe und dem Schnitt der passenden Winterboots abzutöten und in die letzte Ecke ihres Verstandes zu schieben.
Sie wusste nicht, was kam. Doch Ryanne wusste nicht einmal, was war.
Nicht alles. Nicht, wieso das hier alles geschehen war.
Doch sie wusste genauso wenig, ob sie es wissen wollte.
„Habe ich eine Wahl?“, erwiderte sie resigniert. Hatte sie gewiss nicht.
So zögerte die MacBrian einen Moment.
„Und wie wollen Sie mir zur Hilfe sein? Indem Sie mir Löcher in den Bauch fragen?“ Sie hob eine Augenbraue und neigte den Kopf ein wenig, ehe ein zynisches Lächeln auf ihren Zügen erschien. „Zufällig erinnern Sie sich gewiss besser an meine letzten zwei Jahre wie ich.“ Sie hatte keine Vergangenheit. Keine, die erst kürzlich geschehen war. Nur ein schwarzes Loch in ihrem Verstand, von welchem sie sich sicher war, es würde sie mit jedem Tag mehr etwas auffressen, bis nichts mehr von ihr übrig blieb. Ryanne schauderte vor dem Gedanken.
Das war, was sie bewohnte: Angst. Angst vor ihrem Inneren, Angst vor der Welt vor ihrem Fenster. Angst vor den Menschen und was diese ihr mitbringen würden. Dass die A.C.O. nicht länger Bestand besaß, wo sie so viel Herzblut mit hineingesteckt hatte, dass die Welt vor dem Umbruch stand und ihre Gesellschaft drohte, auseinander gerissen zu werden; so vieles geschah ohne ihre Anteilnahme, nur um sie jetzt wieder zu zwingen, mitzumachen. Teil zu werden, wo sie nichts geordnet bekam.
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Mit einem leisen Klackern legte Graham das Klemmbrett zur Seite und wiegte den Kopf von Seite zu Seite: „Natürlich haben Sie? Ich kann Ihnen ohnehin nur helfen, wenn Sie das möchten? Wenn Sie das alleine durchstehen wollen, nicht noch einen Heiler an Ihren Hacken wissen möchten, dann kann ich das verstehen und ich lasse Sie wieder in Frieden.“ So einfach wäre es vielleicht nicht. Man bestand doch darauf, dass er für diesen Besuch hier war. Da sollte er wohl auch in Zukunft immer wieder vorbeischauen. Wogegen Graham sich dann wehren müsste. In ihrer beider Namen. Ryanne, weil sie keine Hilfe wollte und Graham, weil ihm seine Zeit zu kostbar war, um vor einer Patientin zu sitzen, damit sie sich nur anstarrten und zu nichts kamen.
Sicher, solche Sitzungen gab es, die kamen vor, gerade wenn der Patient für sich selbst manchmal einen Durchbruch brauchte, da störte es Graham nicht, wenn er eine Stunde dasaß und sein Gegenüber aufmerksam beobachtete, zusehen konnte, wie langsam die Einsicht zu welchem Problem auch immer auf das Gesicht trat. Aber Arbeit an einem Durchbruch und völliger Unwille, das waren zweierlei Zauberstäbe und zu letzterem war der Higgs nicht bereit. Wie ein leises Husten, lachte Graham bei ihren Worten auf, schüttelte den Kopf: „Ich muss Ihnen nicht so viele Fragen stellen, wenn Sie mir von sich aus erzählen, wie es Ihnen geht, was Sie beschäftigt. „Ich fürchte, dass ich Ihnen bezüglich der Jahre keine große Hilfe bin, außer Sie wollen sich für langweilige medizinische Fakten interessieren? Da müssten wir wohl beide in dem Dunkeln stochern.“ Seine Mundwinkel zuckten in die Höhe. „Ich lehne mich weit aus dem Fenster, aber ich glaube, Sie haben da nicht allzu viel verpasst.“ Das Lächeln verharrte. So sensibel war er. So freundlich. Achwas. Er wollte sich nicht die Mühe machen Ryanne mit Samthandschuhen anzupacken. Das taten andere zur Genüge, hatten es für Jahre getan und es war ja nicht so, als würde er ihr Herz mit einem Schlag durch Unfreundlichkeit brechen.
Sie presste die Lippen aufeinander.
Während ihr eigener Stab auf dem Nachtisch neben ihr lag und er seinen zog – wie es eine Sache von Sekunden war, in welcher er ihre unangenehme Situation löste und es das Leichteste war. Einer der ersten Zauber, welchen man in Hogwarts lernte. Einer der einfachsten, dass jeder Elfjährige diesen bewältigen und zustande bringen konnte. Sie wandte den Blick von den zugezogenen Vorhängen ab und richtete ihren Blick auf die gegenüberliegende Wand, als gäbe es dort etwas besonders interessantes zu sehen. Als wäre dort eine Sache, welche ihre Aufmerksamkeit für sich einnahm. Dabei war dort nichts – oft genug schon hatte sie an diesen Punkt gestarrt und nichts sehen können. Es war nur eine Wand, doch war diese so viel leichter anzuschauen wie das Werk ihrer versagenden magischen Kräfte oder den Mann, der Zeuge ihres Versagens geworden war. Sie wünschte, sie könnte sich die Decke über den Kopf ziehen, die Augen schließen und einfach nichts tun. Einfach nur da liegen, alle dadurch vertreiben, indem sie jene glauben ließ, sie schlief und in ihrer eigenen niederringenden Gedankenwelt herumwandern, bis sie irgendwann von dieser zerquetscht wurde. Sich nie wieder bewegen müssen, einfach nur da liegen und dem Lauf der Welt zusehen. Hatte zwei Jahre zuvor schon geklappt, gewiss würde es jetzt nicht daran scheitern, dass Ryanne theoretisch am Lauf der Welt teilhaben könnte. Sie könnte, doch ihr fehlte so viel Anschluss und ihr fehlte so viel Zeit.
Erst mit dem Klacken des Klemmbrettes richtete sich ihr Augenmerk wieder auf den Heiler, dessen Blick sie begegnete. Ryanne seufzte, ehe sie durchatmete. Ehe sie selbst bemerkte, wie unfassbar kindisch sie sich verhielt, indem sie diesen Mann schuldig für ihr eigenes Schicksal machen wollte – denn er konnte nichts dafür. Er nicht und sonst vermutlich auch niemand. Sie wusste es nicht mehr wirklich und hätte es sich wohl eh nicht wirklich merken können. So senkte Ryanne den Blick und hob zögerlich die Schultern. „Weiß nicht“, gab sie leise und ehrlich zu. Natürlich wollte sie so schnell wie möglich hier heraus und doch .. wollte sie es nicht. Was dann? Was, wenn der Genesungsprozess abgeschlossen war und es für alle genauso wie für sie galt sich mit dem Produkt auseinander zu setzen und ebenjenes neu kennen zu lernen? Ryanne wusste, dass sie nie wieder die Alte werden würde. Niemals mehr würde sie wieder an jenem Punkt in ihrem Leben stehen, an dem sie einmal gestanden hatte .. ihr eigenes erlebtes Glück fühlte sich so weit entfernt an, dass es sie zerriss, daran zu denken. „Wofür das alles?“, entwich es ihr, während sie die Augen schloss. „Und dann? Ich werde nie wieder in mein Leben zurückkehren können. Es ist vorbei.“ Sie musste neu beginnen und es war schwer, sich dies einzugestehen.
„Ich habe Angst, okay?“
Sie verzog die Mundwinkel hinab und antwortete auch mehr leicht genervt wie aus dem Willen heraus, mit diesem Mann darüber zu sprechen. Er war vermutlich noch die bessere Wahl wie ihren Eltern davon zu erzählen – doch letztlich blieb er ein Fremder. Niemanden, welchen Ryanne Einblick in dieses allesumfassende Gefühl in ihrem Inneren geben wollte. Sie wollte selbst nicht einmal wissen, wie sehr sie sich eigentlich vor der Zukunft fürchtete und wie wenig sie damit anzufangen wusste, dass es sie überforderte, ebenjener bald gegenübertreten zu müssen. Dass ihr keine andere Wahl blieb, wie sich mit ihrer eigenen zerstörten Existenz auseinander zu setzen. Manches Mal war die Dummheit eines Menschen Segen dafür, dass er nicht merkte, wie er war. Doch dafür war Ryanne zu intelligent – sie wusste sehr wohl um ihre eigene Veränderung, wusste um ihren geminderten Maßstab an sich selbst, den zu erreichen ihr dennoch nicht gelang. Sie schaffte es nicht, die Arme hoch genug zu strecken, bekam die Stange nicht zu greifen – auf jenem Niveau, wo sie einmal gewesen war. Sie hatte studiert und sie war gut darin gewesen, ihr Kopf voll von so vielen Dingen und doch war nichts oder nur wenig untergegangen. Intelligent, sozial und menschlich. Das war sie gewesen. Sie hatte einen Verlobten, ein Eigenheim, hatte ein perfektes Leben gehabt.
Und nun .. nun war Owen nicht länger mit einem solchen Menschen zusammen. Sondern mit ihr. Dem verkrüppelten Überbleibsel ihrer eigenen Persönlichkeit.
„Es sind zwei Jahre vergangen“, entfuhr es ihr verärgert und sie hatte die Hand um die Decke gekrallt. Sie zog die Augenbrauen zusammen, während sie den Mann anstarrte. „Es wird etwas passiert sein. Und ich weiß nichts davon. Es wird so viel geschehen sein, verdammt! Und das alles habe ich verpasst – es ist einfach so .. geschehen.
Die Welt braucht mich nicht. Das hat sie deutlich genug gezeigt.“ Die Menschen in ihrer Welt hatten Abschied nehmen lernen können .. und doch: wieso war sie dann aufgewacht, wenn sie sich selbst so vergänglich und überflüssig fühlte. Wenn sie fest davon überzeugt war mehr Last wie Minderung zu bedeuten.
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„Wofür …“ Graham neigte den Kopf, blinzelte nachdenklich. „Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, das müssen Sie für sich selbst herausfinden. Das Leben hat für Sie vielleicht kurz ausgesetzt, jetzt ist es wieder im Rhythmus und vielleicht hat es nicht mehr dasselbe Ziel wie noch vor zwei Jahren, aber es wird einen geben.“ Wie konnte Graham so philosophisch klingen. Aber es waren derart existenzielle Fragen. Was anderes könnte er sagen. Er könnte es nicht für sie beantworten. Würde es auch nicht tun. Das war nicht seine Entscheidung, die zu treffen war.
„Natürlich haben Sie Angst, ich verstehe das.“ Graham lehnte sich zurück, sah die Blonde eindringlich an, mit einer gewissen Mischung aus Verständnis. Nicht dass es ihn großartig das Gesicht verziehen ließ. Neutral wie eh und je, gespickt mit diesem Hauch Höflichkeit, der praktisch aufgeklebt zu sein schien. „Es würde etwas nicht stimmen, wenn Sie keine Angst hätten. Es wartet einiges auf Sie. Was sie alles schaffen können.“ Einen Moment lang schwieg er, behielt sie im Blick, ehe er zu den verdeckten Fenstern sah, sich einmal über die Lippen leckte. „Wenn Sie es schaffen möchten?“ Natürlich. Das war die Bedingung. Da konnte er am Ende noch so hilfreich sein.
Er spürte deutlich ihren Blick auf sich, hörte ihre wütenden Worte und es ließ Graham die Augenbrauen hochziehen. „Wieso sind Sie wütend, Ryanne?“ Leicht neigte Graham den Kopf. Er bemerkte nebenbei, wie sie sich an ihre Decke krallte. „Glauben Sie denn, dass Ihre Familie, Ihre Freunde sich abgewandt haben nach den zwei Jahren, weil sie sich dazu entschieden haben das Leben weiterzuleben, weiterzuleben müssen, um am Ende von Ihrem Aufwachen überrascht zu werden?“ Als könnte die Welt stehen bleiben, als würde sie stehen bleiben, weil ein Mensch, nur einer von so vielen, nicht mehr daran teilnehmen konnte. Grahams Blick war auf die Situation natürlich anders als der der Blonden. Er sah es von außen. Er hatte nichts in den Jahren verpasst, er hatte sich mit der Welt gedreht und nicht ohne ihn. So war das nicht. So funktionierte das nicht. Und Graham war sich sicher, dass auch Ryanne das wusste, auch wenn es sie gerade aus der Bahn zu werfen schien. Wie so vieles. Das hier wäre nur der Beginn. „Nur weil sie ihr Leben weiterleben mussten, heißt das nicht, dass sie Sie aufgegeben haben, dass sie nicht gehofft haben, dass Sie wieder Teil ihres Lebens werden würden … oder was meinen Sie?“
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