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you have your mother`s heart
Es war furchtbar still in Godric's Hollow geworden. Manchmal fühlte sich Ginny befremdlich in ihrem eigenen Zuhause, das sich doch an manchen Tagen mehr als ein Gefängnis anfühlte. Hier fühlte sie sich in ihren Gefühlen gefangen und alles drohte ihr über den Kopf zu wachsen. Sie versuchte stark zu bleiben. Sie musste stark bleiben - vorallem auch für Harry, Ron und Hermine, die sich aktuell wieder irgendwo da draußen befanden und nach einer Lösung suchten. Sie hatte Harry versprochen, für ihn die Stellung zu halten. Dass sie alles im Griff haben würde, dass er sich keine Sorgen machen musste. Doch im Moment fühlte sie sich einfach nur noch schwach und müde. Die Ereignisse hatten sich in den letzten Wochen überschlagen und Ginny spürte, wie ihr die Fäden immer weiter entglitten. Wie ihr ihre eigenen Kinder entglitten.
Dass James untergetaucht war, hatte Ginny viele Sorgen bereitet. Sie hatte sich auf eigene Faust auf die Suche nach ihrem Ältesten gemacht. Einerseits hatte sie das Gefühl, dass er sie im Stich gelassen hatte - wenn auch sie derlei Gedanken eigentlich nicht zulassen wollte. Aber sie war aktuell alleine und sie hatte doch nur noch James. Albus und Lily waren in Hogwarts, Harry war im Nirgendwo verschwunden.. und dann musste sie sich auch noch um ihren Erstgeborenen sorgen. Die Zeiten waren zu gefährlich, als dass sie es einfach hinnehmen konnte, dass er mal wieder seinen Sturkopf durchsetzen musste.
Ginny hatte gerade im Wohnzimmer gesessen und durch ein Buch geblättert. Als lesen konnte man es wahrlich nicht bezeichnen, dafür hatte sie gerade auch überhaupt keinen Kopf gehabt. Aber irgendwie musste sie die Zeit totschlagen. Und nachdem sie bereits das ganze Haus auf den Kopf gestellt und geputzt hatte, mussten andere Methoden her.
Ein Rumpeln ließ sie aufhorchen. Das Geräusch kam eindeutig aus der Küche und normalerweise hätte Ginny sich denken können, welcher Anblick sie dort erwarten würde. Allerdings war im Moment nichts normal und daher stand sie zwar augenblicklich kerzengerade im Wohnzimmer, doch begab sie sich ein wenig vorsichtiger als sonst in Richtung Küche. Immerhin erwartete sie niemanden. Und ihre Mutter würde sich ankündigen.
Als Ginny durch die Küchentür spähte, fiel ihr Blick auf den Haarschopf ihres Ältesten. In Ginny sehnte sich jede Faser danach, nun in die Marotten ihrer Mutter zu verfallen und James mit einem gepolterten und mahnenden 'JAMES SIRIUS POTTER!' zu strafen. Noch war er zu Boden gegangen und hatte eine Menge Ruß aus dem Kamin auf ihren frisch gewischten Fliesen verteilt. Eigentlich hätte sie ihn dafür an den Ohren ziehen können, wäre er noch jünger gewesen. Und eigentlich war sie ja auch noch wütend auf ihn, weil er einfach so verschwunden war. Doch in diesem Moment überwog doch überraschenderweise die Freude und Ginny stürzte auf ihren Sohn zu, zog ihn wieder auf die Beine und schloss ihn in seine Arme. "James! Bei Merlin, es geht dir gut." Sie drückte ihn fest an sich, bevor sie ihn dann nur ein wenig aus ihrem Griff entließ, um ihm ins Gesicht zu sehen. Er hatte es sogar geschafft, sich den Ruß irgendwo auf den Wangen zu verteilen. Jetzt, wo sie sich vergewissert hatte, dass alles an ihrem Erstgeborenen noch dran war, war es doch an der Zeit, ihm den Kopf zu waschen. "Wo hast du gesteckt?! War dir nicht im Geringsten bewusst, dass wir alle krank vor Sorge waren?!" Da war sie doch - Molly Weasley junior in Person, wenn auch die Stimme trotz Zetern noch etwas weicher klang als die ihrer Mutter.
"Muuuuuuuuuum!" quängelte James im natürlichen Reflex wehleidig und sich sträubend, als Ginny Potter auf ihn zustürmte, auf die Beine zog und ihn fest umarmte. "Muuuuum!" wiederholte er wieder, aber sein Protest könnte durchaus stärker ausfallen. Irgendwo tat es sogar ganz gut, dass Ginny da war und wie so oft: man merkte erst, was man hatte, wenn man es vermisste.
Etwas, das James eigentlich nicht mehr so neu sein sollte. Immerhin war er vergangenen Sommer, direkt nach seinem UTZ Abschluss im Juli ausgezogen und mit Fred und Hailey und ein paar anderen in eine WG gezogen. Eigenständig sein. Selbstständig sein. Nannte sich das. Oder aber: dennoch regelmäßig bei Oma Molly oder gar zuhause aufkreuzen und die Kühlschränke leerfuttern, weil man selbst unfähig war einkaufen zu gehen. Kein Wunder hatten sich bereits schon wieder die ersten Mitbewohner verabschiedet; so wie Fred und James hausten - Hailey... die wurde man eben nicht los. Wie eine Zecke. Einmal festgesaugt musste man warten bis sie von alleine abfiel. So oder so ähnlich. Dabei konnten die Jungen froh sein, dass die Hufflepuff noch immer bei ihnen wohnte und zumindest für ein Mindestmaß an Sauberkeit sorgte. Mehr oder minder.
Aber ja, man merkte erst, was man hatte, wenn es fort war oder gar: man merkte erst, was man vermisst hatte, wenn es plötzlich wieder da war. James' Protest könnte durchaus heftiger ausfallen. Tat es aber nicht. Nachdem die routinierte Schallplatte des quängeligen Mums-du-bist-so-peinlich-Tonfalls durchgelaufen war, hob James die Arme seinerseits und erwiderte Ginnys Umarmung. Vielleicht etwas zu stark; vielleicht etwas zu lang. Nicht wie das routinierte: Hallo-begrüßungs-Umarmen, das kaum mehr als drei Sekunden anhielt. James war froh hier zu sein. Innerlich sollte er sich womöglich schelten, dass er nicht schon viel früher wieder heimgekommen war - aber dann wiederum hätte das bedeutet, dass er über eine gewisse Selbstreflektion verfügte und wir redeten hier ja von James Sirius Potter: also - NO WAY!
"Ja, ja, jaaaaaaaah Mum - es geht mir super!" Nicht. Glatte Lüge. James ließ Ginny aus der Umarmung - oder anders herum und verzog höchst schuldbewusst wie ein Fünfjähriger, den man beim Kekseklauen erwischt hatte, die Mundwinkel. "Wirklich!" beteuerte er - auch wenn er gut genug wusste, dass Ginny selbst wusste, dass es gelogen war. Nichts war gut. Aber das war nun keine Neuigkeit mehr. Das war schon lange so. Die Welt stand Kopf und sie hingen an ihren Füßen festgekettet mehr oder weniger sicher darin herum; bangend auf das nächste Erdbeben wartend. Von dem zwar keiner wusste, wann es kommen würde, aber doch, dass es passieren musste.
Betroffen kaute James auf seiner Unterlippe herum und tappste unruhig von einem Bein auf das andere. Wäre er nicht mittlerweile größer als seine Mum, könnte man tatsächlich meinen, er sei ein fünfjähriger Lausbub. "Hmhmja..." nuschelte er leise und wich ihrem direkten Blick aus. "Sorry..." Und damit war es dann getan, oder nicht? NOT! Als ob. Tauchte man einfach mal so Ewigkeiten nicht auf und tat es dann mit einem Sorry ab. "Wo's Dad?" fragte er direkt und sah über Ginnys Schulter hinweg in Richtung Tür. Dass das güldene Trio auf Reisen war, das hatte er nicht mitbekommen. Aber dann wiederum bekam James herzlich wenig mit. Stolperte mehr wie ein gehandicapter Troll mit nur einer Hirnhälfte durch das Leben und mitten hinein in den Krieg: bestens ausgerüstet also! Aber er hatte ja das Potter-Glück; das würde ihm schon den Hals retten!
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Erst wehrte sich James mehr schlecht als recht gegen die Umarmung seiner Mutter, ehe er schließlich nachgab und Ginny spürte, wie er sie erwiderte. Es erwärmte ihr Herz, ihren Sohn so nah bei sich zu haben und für den Bruchteil einer Sekunde fühlte es sich danach an, als sei alles wie früher. Als sie noch nicht jeden Tag um das Leben ihrer Kinder fürchten musste. Als sie noch wusste, wo sich ihr Ehemann gerade aufhielt und ob es ihm gut ging. Wo waren nur die sorglosen Zeiten geblieben? Hatten sie es sich nicht verdient, dass alles gut war? Hatten sie dafür nicht gekämpft, hatten sie dafür nicht genug Opfer gebracht?
James beteuerte, dass es ihm gut ging. Doch wie Ginny ihrem Sohn in die Augen sah, wusste sie genau, dass er sie gerade belogen hatte. Dafür kannte sie ihren Sohn doch mittlerweile lange genug. So sehr, wie Ginny in seinen Gesichtszügen den jungen Harry Potter erkannte, so sah sie in seinen Augen immer öfter sich selbst. Ginny atmete tief durch und beschloss, die Lüge ihres Sohnes unquittiert zu lassen. Ein Blick reichte und er sollte wissen, dass sie ihn ertappt hatte. Da hatte es keine Schelte nötig. Und Ginny war sich sicher, dass er früher oder später von ganz alleine mit der Sprache herausrücken würde.
Schließlich löste sich Ginny vollkommen von James, doch nicht ohne noch einmal vollkommen muttertypisch über seine Wange zu streichen und den Ruß aus seinem Gesicht zu wischen - eine Geste, die sich vermutlich keine Mutter der Welt je würde abgewöhnen können. Und eine Geste, die jedes Kind als eindeutig peinlich empfand. Sacht presste sie die Lippen aufeinander und schenkte James' genuscheltes "Sorry.." ein verzeihendes Lächeln. Vor wenigen Tagen noch hätte sie James am Liebsten den Kopf dafür abgerissen, dass er einfach so verschwunden war - doch die Dinge hatten sich verändert. Nun war sie einfach froh und dankbar darüber, dass er wieder hier war. Dass wenigstens er nach Hause zurückgekehrt war.
Und dann kam sie: die Frage, wo Harry steckte. Augenblicklich griff sich Ginny mit einer Hand an die Kehle, strich sich mit den Fingerspitzen über die Haut. Sie merkte nicht, wie ihr Blick glasig wurde. Sehr wohl merkte sie allerdings, wie ihr die Stimme stockte. Also versuchte sie schwer, den Kloß in ihrem Hals irgendwie herunter zu schlucken. Was sollte sie James schon sagen? Dass sich sein Vater schon wieder mitten im Krieg befand? Sie hatte ihre Kinder immer davor beschützen wollen, doch dafür war es nun zu spät. Ginny holte tief Luft, während sie James den Rücken zudrehte und ein paar Schritte durch die Küche ging, nur um sich schließlich an einer Küchenplatte abzustützen.
"Er ist weg." begann sie nun langsam. Wie sollte sie es ihrem Sohn am Besten erklären? 'Weißt du Schatz, es ist wie damals..' Sie suchte nach Worten. Vermutlich war es das Beste, die Karten auf den Tisch zu legen. "Dad ist gemeinsam mit Ron und Hermine aufgebrochen. Sie suchen nach.. Lösungen." Das war noch nett ausgedrückt. Sie suchten wie damals nach einem Weg, diesen Krieg zu gewinnen. Oder wenigstens möglichst viele von denen mit ins Verderben zu stürzen. "Sie sind schon ein paar Wochen weg. Und ich weiß nicht, wo sie jetzt genau sind." Oder ob es ihnen gut ging. Wobei Ginny wusste, dass sich schlechte Nachrichten normalerweise wie ein Lauffeuer verbreiteten. Also konnte sie einfach nur hoffen.
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Hätte man James einen Wunsch gegeben, einen - einen einzigen, mit dem er sich alles wünschen konnte, was auch immer er wollte; er hätte gewünscht, das die Zeit zurückgedreht werden würde. Auch wenn der Wunsch herzlich wenig überdacht gewesen wäre - aber James über-analysierte das garnicht sonderlich weiter. Er wollte, dass alles wieder so war, wie vor über einem Jahr. Als er aufgebrochen war um sein letztes Jahr in Hogwarts zu absolvieren, als Albus nach wie vor das kleine lästige Misfit gewesen war - ärgernswert: zweifelsohne, aber nicht bösartig - nicht so, wie er jetzt war! - Als James und Freds größte Sorge gewesen war, wie sie in die Fußstapfen ihrer Vorfahren treten konnten; mit welchem gigantischen letzten Streich sie sich aus Hogwarts verabschieden wollten... als die Welt einfach noch in Ordnung gewesen war. Als schlechtes Wetter noch die größte Katastrophe der Welt gewesen war und die Frage nach dem, was es zum Abendessen gab, tatsächlich die größten Sorgen gewesen waren.
Nicht wie jetzt... nicht wie heute... wo sich kaum mehr jemand über das Wetter beschwerte und alle nur teilnahmslos Nahrung in sich reinschaufelten; garnicht mehr registrierten, was sie da aßen. Weil ihre Gedanken an viel elementareren Problemen festhingen.
Dass das bloße Zeit-Zurückdrehen nichts helfen würde, war James nicht bewusst. NUr wiel er die Zeit zurückdrehte, hieß es schließlich nicht, dass sich im daraufhin folgenden Jahr etwas ändern würde, dass die Todesser nicht zurückkehren würden, dass die Welt nicht an den Abgrund gerollt werden würde. Nur weil er die Zeit zurückdrehte, löste er keine der Problem, die er heute hatte. Aber James wünschte sich dennoch nichts sehnlichster als wieder zurück zu sein; wieder in die Schule zu gehen, wieder sorglos und fröhlich sein zu können.
Dass es vermutlich effizienter wäre, den Wunsch dafür zu nutzen, die Todesser auszuschalten oder sich heute Frieden zu wünschen; ne. Er wollte zurück. Er wollte vergessen, was passiert war und wieder ohne all jene Erinnerungen sorglos und naiv vor sich hinleben können. Das wollte er. Das wünschte er sich.
Bekommen würde er es doch nie.
James Kopf schnellte in die Höhe, als Ginny erklärte, dass sein Dad fort war. "Wie?" fragte er irritiert, während seine Mutter fort fuhr? Ein Schatten legte sich über James' Züge und er runzelte irritiert skeptisch die Stirn. "Aha..." gab er trocken zurück und verschränkte die Arme einen Moment vor der Brust. "Was für ein Bullshit!" polterte die unmittelbare Reaktion dann doch verärgert aus ihm heraus; auch wenn er sich einen Augenblick bemüht hatte das Kommentar zu unterdrücken, runter zu schlucken. Seine Mum konnte doch auch nichts dafür...
Noch vor einem Jahr hätte James jetzt sicherlich Hoffnung geschöpft. Merlin, noch vor zwei Monaten hätte er sich entspannt zurückgelehnt; ah, sein Dad machte das schon. Harry Potter richtete das schon. Wenn Harry sich einer Sache annahm, dann KONNTE es doch nur gut werden, oder? Er hatte es ja oft genug bewiesen. Vor allem, wenn er Hermine und Ron mit im Schlepptau hatte.
Aber heute: Heute nicht!
James verzog verärgert das Gesicht. "Also ist er weg und der Rest soll den Scheiß hier erledigen..." meckerte er und ließ sich plump auf den Stuhl am Küchentisch fallen. Frustriert bohrte er mit dem Zauberstab in der Holzplatte herum und schüttelte schnaubend den Kopf. Das... solche Worte aus James Mund waren: eine Premiere. Wo er stets der erste gewesen war, der damit geprahlt hatte, was für ein Held sein Dad war und wie großartig und toll Harry Potter doch war. Dass er ALLES tun konnte, was auch immer er wollte - weil Harry praktisch der Superman der magischen Welt war. Ach, mein Dad macht das schon; war einer von James ersten halbwegs vollständigen Sätzen gewesen. Harry Potter: das Totschlagargument schlechthin. Und James' fundamentales Grundvertrauen in die Fähigkeiten seines Vaters hatte keine Grenzen gekannt. Harry konnte einfach ALLES. Bis zuletzt war James davon überzeugt gewesen. Bis... bis Fred verschwunden war - gestorben (ganz bestimmt). Und Harry war da gewesen. Und er hatte es nicht verhindert. Nichts gemacht. Er hatte es einfach geschehen lassen. Und James Welt war in tausende Stücke zersprungen.
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James' Reaktion kam für Ginny nicht sonderlich überraschend. Dafür kannte sie ihren Sohn mittlerweile lange genug, als dass sie genau wusste, was in ihm vor sich ging. Einst dachte sie, dass es auch bei Albus so wäre.. doch mittlerweile erkannte sie ihr eigenes Kind nicht mehr und allein der Gedanke daran zerbrach ihr jedes Mal aufs Neue das Herz. Er verschränkte trotzig die Arme vor der Brust und schließlich polterte es aus ihm heraus.
Ginny konnte es ihrem Sohn nicht übel nehmen. Wie sie ihn ansah, erkannte sie sich selbst wieder. Damals, als ihr als junges Mädchen eröffnet worden war, dass Harry, Ron und Hermine fort waren. Als sie schon einmal einfach so verschwunden waren und niemand wusste, ob man sich jemals wieder lebend sehen würde. Sie hatte damals auf die genau gleiche Weise reagiert. Ginny erinnerte sich nur zu gut an diesen Moment. Sie hatten in den Trümmern des Festzeltes gestanden, dass sie zu Bills und Fleurs Hochzeit aufgebaut hatten. Irgendwie hatten sie den Angriff überstanden.. und dann hatte Remus Lupin ihnen eröffnet, dass er Harry weggeschickt hatte. Für Ginny war in diesem Augenblick eine Welt zusammengebrochen. Sie hatte seinen Kuss noch immer an ihren Lippen geschmeckt; für just einen Augenblick hatte sie einfach einmal glücklich sein wollen. Und dann war sie vollkommen alleine zurückgeblieben.
So wie Harry nun auch James zurückgelassen hatte.
Auch Ginny war es schwer gefallen, Harry gehen zu lassen. Allerdings musste sie einfach akzeptieren, dass ihr Platz hier in Godric's Hollow bei ihren Kindern war.
Sie sah James mit einem schmerzlichen Blick an. Es fiel keinem von ihnen leicht. Sie hatte sich so sehr gewünscht, dass ihre Kinder sorglos aufwachsen würden.. dass sie ihre Jugend nicht an Krieg, Kampf und Tod verschwenden mussten. Doch dieses Glück war ihnen leider nicht vergönnt gewesen.
Als sich James plump auf den Stuhl fallen ließ, trat Ginny nur langsam an ihren Sohn heran und zog vorsichtig den Stuhl gegenüber bei Seite, um sich auch vorsichtig zu setzen. "James, bitte - nein.." begann Ginny langsam in Reaktion auf seine Enttäuschung. Sie griff nach James' Hand, der gerade den Küchentisch zu verstümmeln begann, und strich sanft über seinen Handrücken. "Du musst das verstehen, Schatz. Er lässt uns nicht im Stich, genauso wenig wie das dein Onkel oder deine Tante tun." Sie erinnerte sich wieder an damals. Sie hätte sich damals so sehr gewünscht, dass man offener mit ihr gesprochen hätte. Dass man sie nicht wie ein unmündiges Kind behandelt hätte. Also versuchte sie es nun auch auf diese Weise. "Wir haben damals so viele gute Freunde verloren.. und beinahe wäre auch der Kampf verloren gewesen. Hätte es nicht diese eine Schwachstelle gegeben, die das Blatt gewendet hatte. Wir haben im offenen Kampf gegen die Todesser keine Chance." 'Auch wenn die Jugend das glauben mag', wie sie in Gedanken dazu fügte. "Sie sind blutrünstig und sie zögern keine Sekunde, einen von uns zu töten. Wir brauchen wieder diese eine Schwachstelle. Und ich vertraue deinem Vater, dass er sie finden wird."
Ginny wusste nicht, ob ihre Worte bei James ankommen würden. Sie vermutete, dass das Gegenteil der Fall sein würde. Dafür war er doch einfach zu impulsiv.
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Im Gegensatz zu Teddy hatte James immer nur mit halbem Ohr zugehört, wenn seine Eltern ihm von den alten Heldengeschichten erzählt hatten. Sicherlich kannte er sie dennoch rauf und runter. Immerhin waren es großartige Stories. Aber er kannte die Details längst nicht so gut, wie er es wohl können sollte. Oft genug verband er die einzelnen Informationen nicht miteinander, sah die Geschichten isoliert als einzelne Abenteuer, ohne zu realisieren, dass alles irgendwie miteinander zusammen hing. Aber es war auch nie so wichtig gewesen; immerhin war es vorbei gewesen, der Krieg lange gewonnen. Ewiger Friede hergestellt. Jedenfalls war James in dem Glauben aufgewachsen, dass nun ewiger Friede herrschte. Nach mehreren dunklen Jahrzehnten. Nun endlich. Und er konnte sich glücklich schätzen, dass er kaum etwas von den alten Schatten noch miterlebt hatte. Miterlebte. Sicher, seine Eltern waren nach wie vor gezeichnet davon. Was man merkte, wenn man genau hinsah, wenn man aufmerksam war. Aber wann war James jemals wirklich aufmerksam? Sicher, sein quasi-älterer-Bruder war ein Waisenkind; wegen dem Krieg. Aber so sonderlich unglücklich war Teddy deswegen ja auch nicht gewesen, oder? Sicher, eigentlich hätte James einen Onkel mehr haben sollen; aber er hatte Fred Weasley nie kennen gelernt, nur Geschichten gehört und immer nur mit angesehen, was dieser Verlust für die Familie bedeutet hatte. Es nie selbst gespürt. Und nun tat er es und er war völlig überfordert...
Es tat sooooooooooo weh!
Und er hatte das Gefühl niemand konnte ihm damit helfen. Dass niemand verstand. Was irrational war. Wer, wenn nicht seine Familie könnte zu gut verstehen, was Krieg und Verlust bedeutete? Aber James sah das nicht. Er fühlte sich allein gelassen, überfordert mit sich selbst.
Und die Tatsache, dass sein strahlender Held einfach fort war, machte es nicht besser. James hatte sich nie unwohl oder gar unsicher gefühlt; nicht zuhause - nicht in der Welt. Und nun auf einmal, egal wo er war, und wenn es sein altes Zimmer in Godrics Hollow war: wirklich geborgen und sicher fühlte er sich nirgends mehr.
James sah auf, als seine Mutter nach seiner Hand griff. "Ich muss garnichts." erklärte er protestierend und schüttelte den Kopf. "Du verstehst nicht." warf er ihr stattdessen entgegen. "Er ist fort und er hat uns ganz allein gelassen. Feige wie er ist. Was, wenn jetzt Todesser vor der Tür stünden und uns abmurksen? Duh! Dann kann er noch so sehr die Welt versuchen zu retten; aber niemand ist mehr da... hm? Er sollte mal seine Prioritäten klären!" meckerte er zornig und schüttelte wieder den Kopf. Er zog seine Hand aus der seiner Mutter und stach mit dem Zauberstab ein paar mal seine Worte betonend in die Tischplatte. "So ists natürlich einfach, hm? Lieber auf geheime Mission gehen und ... VIELLEICHT eine ultimative Lösung für das Problem hier finden und ... was sollen wi rmachen? Däumchen drehen? Hm?" grummelte er schlecht gelaunt und schnaubte verärgert. "Jajaja, damals damals..." äffte er seine Mutter gereizt nach und rollte mit den Augen. "Und, was wird's diesmal für eine tolle Lösung geben? Hm? ISt das wirklich alles, was wir haben? Was ihr habt? Die Hoffnung auf irgendeine VIELLEICHT Lösung? Hofft ihr im ernst, dass wir womöglich, ganz vielleicht, eventuell eine SCHWACHSTELLE bei den Todessern finden? Jah? Weil, die sind auch so dumm und lernen sicher nicht aus'm letzten Mal, ne? Eh... warum diesmal anständiger planen..." nölte er vor sich hin, ohne sich selbst wirklich zuzuhören."Können nicht andere gehen?" fragte er und sah wieder zu seiner Mum hinüber. James ging es nicht darum, was der Plan war oder wie wichtig der Plan war; er fühlte sich allein gelassen. Von seinem Dad. Der nicht hier war.Obwohl er ihn SO SEHR BRAUCHTE! Nein, sein Dad... war irgendwo weg, auf geheimer Mission. Und ließ sie allein zuhause. Seine Mum, Ihn! Seinen Bruder! Der drauf und dran war zu einem ekelhaften Todesserbastard zu werden... es praktisch schon geworden war und... James sprang abrupt auf dem Stuhl zurück; nachdem er saß, fiel er mit beherztem Schwung nach hinten um - als er es tatsächlich schaffte den Tisch anzukohlen. Hups.
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Ginny behielt ihren Sohn fest im Blick. Er hatte sich vollkommen in Rage geredet und sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, ihn unterbrechen zu wollen. Dafür kannte sie ihren Ältesten mittlerweile gut genug, als dass sie überhaupt noch den Versuch unternehmen würde, ihn aufzuhalten. Wenn auch sie sich dieser Tage oft fühlte, als hätte sie die Zügel vollkommen aus den Händen verloren, so versuchte sie sich immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, warum sie eigentlich hier war. Warum sie überhaupt so weit gekommen waren, warum sie überlebt hatten. Die Antwort war wohl herzlich einfach: sie hatten stets zusammengehalten. Jeder von ihnen war bereit gewesen, sein Leben für die Anderen zu geben. Die Liste derer, die sich geopfert hatten, war unendlich lang und Ginny schmerzte es jedes Mal aufs Neue daran zu denken, wen sie alles verloren hatten. Sie waren den Todessern damals zudem einen Schritt voraus gewesen durch die Verbindung, die Harry und Voldemort teilten. Sie hatten triumphiert und die Todesser waren ohne ihren Führer wie ein Kartenhaus in sich zusammengebrochen. Doch diesmal war alles anders. Es gab keinen Voldemort mehr, es gab keine Schwachstelle mehr, es war.. aussichtlos. Sie mussten sich doch irgendwie an einen Funken Hoffnung klammern, denn sonst könnten sie sich den Todessern doch direkt ergeben.
James hatte seine Hand seiner Mutter entzogen und in diesem Moment fühlte sich Ginny einsamer denn je. Schon Albus hatte sich ihr entzogen, sollte sie nun auch noch tatsächlich James verlieren? Nur weil er wieder mit dem Kopf durch die Wand wollte? Sie konnte spüren, dass eigentlich pure Verzweiflung aus James sprach. Verzweiflung darüber, dass er machtlos war und niemanden hatte, an den er sich wenden konnte. Sie wusste, dass er gerade niemanden sonst als Harry brauchte.. so wie sie damals ihren Vater gebraucht hatte. Sie hatte sich unzählige Male weinend in seine starken Arme geworfen und er hatte ihr für den Bruchteil einer Sekunde das Gefühl gegeben, dass alles wieder gut werden konnte. Sie konnte James verstehen. Es war erschreckend, wie ähnlich der Sohn seiner Mutter doch tatsächlich war – wenn auch man oft genug in ihm nur das Ebenbild seines Vaters sehen wollte.
Schließlich sprang James vom Tisch auf – wohl ein wenig zu impulsiv, denn er verlor nicht nur die Kontrolle über sich und seinen Stuhl, sondern auch über seinen Zauberstab – und so begann mit einem Mal die Tischkante in Flammen aufzugehen. Ginny reagierte schnell genug, griff nach dem Küchentuch und schlug es auf die zum Glück kleine Glut, um so zumindest in Ansätzen ihr Mobiliar zu retten. Dass die Tischkante nun vor Asche strotzte, war leider nicht zu vermeiden. „James Potter!“ stieß Ginny nun doch sichtlich ernüchtert aus. Er war kein Kind mehr, er musste sich doch irgendwie zu beherrschen wissen. Gut, im gleichen Moment war ihr auch bewusst, dass ihm die Beherrschung wohl einfach nicht in die Wiege gelegt worden war – weder von ihrer, noch von Harrys Seite aus. Sie atmete tief durch und warf das Küchentuch, nun auch aschschwarz, in die Spüle. Wieder hatte Ginny eine Spur zu sehr den Tonfall ihrer eigenen Mutter aufgelegt.
„Ich verstehe mehr, als du denkst.“ begann sie schließlich und fixierte ihren Sohn mit einem Blick, der es ja nicht wagen sollte, sie zu unterbrechen. „Dein Vater hat uns nicht feige allein gelassen, er sucht nach eine Lösung. Und wenn du glaubst, dass wir keine Lösung bräuchten, dann kannst du dich gerne da raus stürzen und zum Mörder werden, kurz bevor dich die Todesser selbst umbringen. Das wäre wirklich ein glorreicher Tod, da bin ich mir sicher.“ Sie sog scharf die Luft ein, die eindeutig nach Rauch roch. „Du kannst diesen Krieg mit keinem anderen Krieg vergleichen, James.“ Damit senkte sie langsam die Stimme. Allein der Gedanke daran ließ Ginny furchtbar kraftlos werden. Sie sank auf ihrem Stuhl zusammen, stützte den Kopf in die Hände und fuhr sich durch die roten Locken. „Es tut mir leid, dass wir dir keine Lösung präsentieren können. Noch nicht. Du wirst dich gedulden müssen und du wirst einfach Vertrauen in deinen Vater haben müssen, so wie ich es auch habe. Er würde uns niemals im Stich lassen.“ Sie wusste nicht, was sie weiter dazu sagen wollte. Vermutlich auch, weil James mit seinem Ausbruch gar nicht so unrecht hatte. Wie gerne würde Ginny einfach mal ebenso ausbrechen. Einfach einmal die Fassung verlieren, schreien und toben – aber das würde ihr ihre Familie auch nicht zurückbringen.
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Promt erschien die verschlossen trotzige Mine, als Ginnys strenges und entrüstetes James Potter durch die Küche hallte. Als wäre es ein längst internalisiertes Naturgesetz. Sie schimpfte und James wurde bockig. Wie es immer gewesen war. Vermutlich immer bleiben würde. James schnaubte zornig und verlagerte unruhig angespannt das Gewicht von einem Bein auf das andere, unfähig still zu sitzen, noch weniger still zu stehen. Irgendwo am Rande bemerkte er, wie sie die winzige Glut löschte und einen Moment später flog das Küchentuch an ihm vorbei in die Spüle. Ginny sah wütend aus. Nicht, das er seine Mutter nie aufgebracht und wütend gesehen hatte; sie konnte ausbrechen wie ein Vulkan, das hatte er oft genug miterlebt. So sehr, wie James selbst immer einen Ticken zu spät zu sein schien und ihm die Kontrolle und Selbstbeherrschung stets durch die Finger glitt, wenn viel zu viel von ihm vorwärts preschte und Worte aus ihm herausbrachen. Ungefiltert und unbedacht. Wenn er schneller handelte, als dass er dachte und einen Moment später mit Vollgas gegen die nächste Wand setzte; ein paar Augenblicke später realisierend, dass die Hippogreife wieder einmal mit ihm durchgegangen waren, während Vernunft und Selbstbeherrschung wie graue, alte Herren hechelnd hinter ihm herjagten und vergeblich versuchten ihn zum Greifen zu bekommen, ihn zurück zu halten. Ehe er erneut vorwärts rannte. Immer mit dem Kopf durch die Wand. James konnte rücksichtslos und verletztend sein. War er oft genug. Wollte es doch aber eigentlich nie. Bereute es just, wenn die Worte sich nicht mehr zurücknehmen ließen.
"JAH! Das sagst du! Das hat er gesagt. Und Merlin, am Ende glaubt er das selbst, aber was haben wir schon davon? Wenn er weg ist, fort und niemand hier ist, was wenn die Todesser jetzt vor der Tür auftauchen? Kommt er dann plötzlich wieder zurück? Nein!" er schnaufte hart und seine Brust hob und senkte sich angespannt, während seine Nasenflügel sich wütend blähten. "Er ist zu beschäftigt damit Held zu spielen und ... kriegt es ja doch nicht hin! ER HÄTTE FRED RETTEN SOLLEN!" Brach es plötzlich aus ihm heraus und er stampfte zornig mit dem Fuß auf den Boden. "ER HÄTTE ETWAS TUN SOLLEN! ABER NEIN, HAT ER NICHT! ER HAT FRED EINFACH STERBEN LASSEN - IHN... IHN GEHEN LASSEN! WO WAR ER DANN HM? IRGENDWO...LORBEEREN SAMMELN!" schrie er und seine Stimme überschlug sich, rutschte einige Oktaven in die Höhe, bis sie nurnoch ein schiefes Knirschen war und schließlich völlig blockierte. James hustete und schnaufte angestrengt und heftig, als hätte er gerade einen Marathon zurück gelegt. Zorn funkelte in seinen dunklen Augen.
"WAS?" fauchte er
"WIE? WAS SOLL SCHON ANDERS SEIN? DAD IST WEG! WIE IMMER! DIE TODESSER STEHEN VOR DER TÜR! WIE IMMER!" Nicht, dass er soviele Erfahrungen vorzuweisen gehabt hätte was Kriege anging. Aber was war heute nun schon anders, als damals. "Weil er nicht mit Voldemort seine special Verbindung hat? JAH! Und deswegen ist er weg oder was? Sollte er nicht dann HIER SEIN! Sollten sie nicht ALLE HIER SEIN! Was bringt es uns schon, wenn die ach-so-tollen Helden WEIT WEG SIND! Weißt du überhaupt WO SIE SIND?" Er fühlte sich ausgeliefert und machtlos und so unfassbar hilflos. Was wenn die Todesser wirklich vor der Tür stünden. In diesem Moment. Was... dann? James hatte gelernt. Er hatte gelernt, dass er ihnen nichts entgegen zu setzen hatte. Und dann waren sie hier: Ginny, seine Mum, und er. Und auch wenn er seine Mutter für nicht weniger fähig hielt als seinen Dad. Sie war eben NICHT sein Dad. Sie war seine Mum. Und was wenn fünf... zehn.. zwanzig Todesser vor der Tür stünden. James zitterte und merkte es nicht einmal. Sein ganzer Körper bebte von Panik, die sich ihm aufdrängte und purer Verzweiflung. Er fühlte sich so ausgeliefert... so völlig machtlos. Tränen glitzerten in seinen Augenwinkeln und er ballte verbissen seine Fäuste noch fester. Seine Knie kribbelten und seine Unterlippe bebte, bis er darauf bis und hart seine Zähne in das weiche Fleisch bohrte. "Hat er aber..." schnaubte er dumpf, als Ginny ihm versicherte, dass Harry sie nie im Stich lassen würde. Er hatte. Er hatte sie allein gelassen. Hatte sie hier zurück gelassen. Er hatte Fred nicht gerettet. Niemanden hatte er gerettet. Albus war fort. Und James war so allein.
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