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You are perfect to me
Langsam entwich ihr die Luft.
Ganz leise, konnte sie spüren, wie sie aus ihr hinausfloss, während sie auf der Couch zusammensank. Leise gab der Glasgoliath 2000 einen Weihnachtsfilm zum Besten, doch blickte niemand dahin. Der Tannenbaum funkelte in der Ecke und die ganze Dekoration, welche die Moreau immer und immer wieder aufgestellt hatte, leuchtete in dem flackernden Kerzenschein, verschiedenfarbiger Flammen, welche ihre Schatten durch den Raum tanzen ließen. Mit klopfendem Herzen war sie die Treppe hinunter gekommen. Sie hatte auf der letzten Stufe innegehalten, hatte die Luft angehalten, bis sie ins Wohnzimmer getreten war. Der Tisch war beladen mit Speisen, welche vor sich her dampften. Fast wie ein kleines Kind hatte sie sich in dem Raum umgesehen, bis der Schlag gekommen war. Bis eine geballte Faust in ihren Magen eingeschlagen und sie in die Knie gezwungen hatte. Sie war alleine. Sie saß alleine hier in diesem großen, behaglich und nach Weihnachten duftenden Raum. Ihre Einladung hatte sie leise in einen der wenigen Momente, wo Peregrine sein Zimmer verließ – etwa um auf Toilette zu müssen, auf sein Bett gelegt. Er hatte den bunten Umschlag kaum übersehen können, welcher leise gedudelt hatte. Und dann hatte sie nur warten können. Seitdem war sie nicht mehr bei ihm ins Zimmer hinein, aus Angst davor, dass sie sich aufdrängte und er deswegen nicht kommen würde. Die beiden Eheleute in dem Herrenhaus waren ausgegangen, denn Priscilla hatte ihnen versichert, dass sie Weihnachten mit ihrem Bruder feiern würde. Dass es toll werden würde und vollkommen in Ordnung wenn die beiden nicht da waren. Schließlich konnten sie gewiss auch etwas Zeit für sich gebrauchen. Ein Schmerz kroch ihre Kehle hinauf, während sich ihre Augen röteten und füllten. Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen, hielt eine auf ihren Mund gepresst und konnte nichts dagegen tun, dass es weh tat. Dass sie sich alleine fühlte und ihr grade jede Hoffnung wegstarb, um welche sie so bitter bemüht jeden Morgen kämpfte. Dabei wäre es nur ein Abend mit ihr gewesen. Mit selbstgekochtem Essen, mit etwas Wein und mit einem Menschen, welchen man liebte. Mehr nicht. Bereits den Geburtstag ihres Bruders hatte sie ungerührt an sich vorbeiziehen lassen. Ihre eigenen Probleme mit dem Ministerium hatte sie ihm verschwiegen, hatte sie einfach nicht angesprochen. Doch wenigstens Weihnachten .. grade Weihnachten war ihr wichtig gewesen. Sie hatte den ganzen Tag über neben der üblichen Arbeit sich verbogen um all das so zubereitet zu bekommen. Jäh hielt sie ihren Zauberstab in der Hand und war aufgestanden. Mit wütendem Ausdruck auf dem tränenverschmierten Gesicht schleuderte sie einen Explosionszauber gegen den Tisch mit den Speisen, welcher Splitter gemischt mit Essensresten durch den Raum jagte.
Zitternd ließ sie die Hand wieder sinken, ließ sie den Kopf sinken.
Ehe sie das Wohnzimmer ließ, wie es war. Sie griff nach ihrem Mantel, griff nach Mütze und Schal. Griff nach dem Türgriff, just in jener Sekunde, als es klingelte. Priscilla hörte das helle Glockengeräusch in dem ansonsten beinah ausgestorben ruhig wirkendem Haus und sie zögerte einen langen Moment. Ehe sie rasch mit einem Zauber ihr eigenes Erscheinen wieder in Ordnung brachte. Die Spuren der Tränen verbarg, die Röte der Augen regulierte und ihre Hände in die Manteltasche steckte, damit niemand das Zittern sah. Sie versuchte sich an einem einfachen Lächeln, doch selbst jenes wirkte müde und gebrochen. Ganz so, wie die Moreau sich fühlte. Gebrochen und kaputt und verlassen, weil es ihrem eigenen Bruder zu viel war, mit ihr zusammen das Fest der Liebe zu feiern.
Einen Moment lang lag Verwunderung in dem Blick der jungen Frau, als sie Phobos vor ihrer Tür stehen sah. Mit ihm hatte sie nicht gerechnet. Seitdem Priscilla im Ministerium eingefallen war .. seitdem sie ihn mit hineingezogen hatte, war sie ihm aus dem Weg gegangen. Zu groß war ihre Angst gewesen, dass sie auch auf ihn aufmerksam werden würden und ihn sich zur Seite nahmen. Wie oft Priscilla auch versucht gewesen war, zu Phobos zu gehen .. einfach nur seine tröstliche Nähe zu spüren und vergessen zu dürfen, war sie ihm fern geblieben.
Weil sie Menschen in den Abgrund riss. Priscilla konnte spüren, wie der Zauber seine Wirkung verlor. Wie ihre Augen sich doch wieder füllten, obwohl sie die Zähne fest zusammenbiss. „P’obos“, murmelte sie schwach, während sie den Blick zu Boden senkte. Grade fühlte sie sich viel zu schwach dafür, aufrecht stehen zu können. Gehen zu müssen. So vieles war gescheitert und so vieles war zerstört worden. Sie hielt sie mit einer Hand noch immer an der Türklinke fest um nicht zu Boden zu sinken. „Isch ‘abe Besuc‘“, log sie direkt ohne ihn anzusehen. Es war besser, wenn er ging. Wenn er nie wieder zu ihr zurückblickte und sie vergaß. Denn sie brachte nur Unglück, sie brachte nur das Unheil über andere Menschen und es gelang ihr nicht, irgendjemanden zu beschützten.
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Gut genug kannte er die Fassade der Hexe. Diese, die sie immer versuchte aufrecht zu erhalten, selbst vor ihm. Selbst das, obwohl er es besser wusste. Aber sie kämpfte, sie versuchte das Beste daraus zu machen und das wusste er. Er versuchte selbst das zu übergehen und lächelte ebenfalls, wenn auch deutlich verhaltener. Dabei konnte er nur erahnen, wie schwer es ihr fallen musste, denn schließlich hatte er eine eine Familie, die sich um ihn kümmerte und zu der er zurück kehren konnte. Sein Bruder schätzte ihn und war eben wie ein echter Bruder für ihn. Dann wenn er selbst am Boden gewesen war, hatte er extra alles dafür getan, um weiter mit ihm kommunizieren zu können, um für ihn da sein zu können. Phobos hatte wahrlich ein enges Verhältnis zu seinem Bruder und konnte sich kaum vorstellen, wie sehr dieser sich so zurückziehen konnte. Aber trotzdem versuchte er für Priscilla da zu sein. Selbst wenn sie ihm jedes Mal wieder einen Stich versetzte mit ihrem Verhalten. Trotzdem konnte er es ihr kaum übel nehmen, selbst wenn er wollte. Vielmehr stürzte er sich selbst in den Abgrund, nur um ihr die Möglichkeit zu geben einen Vorsprung zu erhaschen.
Er bemerkte ihre Verwunderung. Vermutlich dachte sie, er würde sich nie wieder bei ihr blicken lassen. Doch nur wegen der Sache im Ministerium? Sicher, war er nur wegen ihr dort hin gegangen, doch Zachary hatte ihm klar gemacht, dass es ihre bewusste Entscheidung gewesen war, so wie seine eben auch ihr zu folgen. Er musste eben akzeptieren, dass Priscilla so dachte, dass sie aktiven Widerstand leisten wollte, auch wenn es ihm nicht gefiel. Vermutlich konnte er sie nicht auf ewig unterstützen und beschützen. Vor allem nicht, sobald ihre Taten noch politischer wurden. Aber als könne er je von ihr lassen. Irgendwo im Inneren störte es ihn, dass sie nicht auf ihn zu gekommen war, zumindest um sich zu entschuldigen, oder mit ihm darüber zu reden. Doch im Endeffekt konnte sie sich bei ihm ja so gut wie alles erlauben.
Der Zauberer musterte sie. Den einen Moment sah sie perfekt aus, doch im nächsten Moment schon wieder nicht mehr. Langsam fiel ihre Maske ab und die offensichtliche Trauer kam zum Vorschein. Sie wirkte so schwach und zerbrechlich wie selten in seiner Gegenwart. Immer versuchte sie stark zu sein und tankte sich in seiner Nähe wieder auf, um neue Kraft zu finden. Priscilla blickte ihn nicht an und konnte somit auch sein zweifelndes Gesicht nicht erkennen. Er wusste, dass sie log. Wer war völlig am Ende am Weihnachtsabend, wenn er Besuch hatte? Wer heulte da vor sich hin? Vermutlich hatte sich nicht mal ihr Bruder zu ihr gesellt. Voller Mitleid beobachtete er ihre gebrochene Gestalt, wie sie kaum noch stehen konnte. Er nahm sich einen Ruck, steckte das Paket wieder ein. Das hatte Zeit. Jetzt musste er sich erst mal um sie kümmern. Er ging auf sie zu, um kurzer Hand seine Arme um sie zu legen und sie hochzunehmen. So trug er sie in das Haus hinein. Durch den Flur, bis er im Wohnzimmer an kam. Auf der Suche nach einem geeigneten Platz bemerkte er das Chaos im ersten Moment nicht. Außerdem trug er Sorge, sie zu verletzen. Auf dem Sofa ließ er sie hinab und blickte sich um. Es war festlich geschmückt, zumindest der Weihnachtsbaum. Vom Essen schien nicht mehr viel zu retten zu sein. Seufzend setzte er sich auf einen Sessel neben der Couch und senkte den Blick.
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Denn sie war stark.
Was immer man der Moreau nachsagen wollte, so konnte man ihr nicht vorhalten, dass sie sich hinter einer ihrer Schwächen verbarg und darauf hoffte, nur nicht gesehen zu werden. Im Gegenteil – sooft bereits war sie in das Auge des Sturmes gelaufen, war sie mitten hineingerannt, nur um einmal mehr von den Füßen gerissen und zu Boden geschleudert zu werden. Um doch wieder aufzustehen und es von vorne zu versuchen, allem Herr zu werden. Jenen Mächten, welche ihr Leben überwogen und derer sie niemals Herrin werden konnte – doch sie musste es versuchen. Priscilla hätte nicht einfach aufgeben können, wie oft sie sich auch fragte, was geschehen wäre, wenn sie nicht gekommen wäre. Wenn sie schlicht und ergreifend ihre Wohnung behalten und niemals zurück auf die Ranch gezogen wäre, wenn ihr Studium mittlerweile beendet worden wäre: jene Gedanken zerfraßen ihren Kopf, wann immer es nicht die unerschöpfliche Trauer in ihrem Herzen war, die keinen Boden mehr kannte, um aufgefangen zu werden. Dann, wenn sie im Wohnzimmer saß und sich umsah – wie sie es eben noch getan hatte, wenn sie alle hübsche Dekoration betrachtete, welche sie mit einem liebevollen und zufriedenen Lächeln betrachtete. Sie hatte Stunden in der Küche gestanden, um jenes Essen fertig zu bekommen, nachdem sie bereits in den frühen Stunden aufgestanden war, weil sich die Tiere nicht selbst versorgten und sie sich geweigert hatte, volles Personal am Heiligen Abend antanzen zu lassen. Doch alles forderte seinen Tribut und ihrer erschien zu hoch für ein ganzes Leben. Priscilla spürte just in der Sekunde, wo sie im Wohnzimmer zu Boden gesunken war, alle Schwere des Schicksals auf ihren Schultern. Sie spürte ihr komplettes Versagen und jeden ihrer Fehler umso deutlicher ihr Herz schlug und ihr Körper unter den Schluchzern erbebte. Was hatte sie falsch gemacht? Wo hatte sie sich so vollkommen fehlentschieden um eine solche Strafe zu verdienen? Jener Liebesentzug, welchen sie von ihrem Bruder erhielt, zermürbte und zerstörte sie mit jedem einzelnen Tag wieder und wieder. Dabei wollte Priscilla längst nicht mehr viel; nur noch das Wenigste. Wie einen gemeinsamen Abend mit ihrem Bruder, wo alles war wie früher. Sie hatten gelacht und er hatte ihr Essen gelobt, ehe sie voller Freude ihre gegenseitig und die Geschenke ihrer Eltern geöffnet hatten. Irgendwann später dann waren sie meist noch beschwipst vom dunklen Elfenwein in die Stallungen geschlichen und hatten einen langen Flug durch die Nacht unternommen.
Wenn alles schlief und London einsam schön vor sich her funkelte zu der Zeit der brennenden Lichter und der offenen Herzen. Mehr nicht. Nur ein paar Stunden mit dem Menschen, welchen sie über alles liebte.
Darüber hinaus hatte Priscilla mittlerweile so vieles geopfert.
Sie hatte ihr eigenes Leben für ihren Bruder aufgegeben, mehr noch: fast alle eigenen Beziehungen waren ihm zum Opfer gefallen, wo sie so darauf bedacht und davon eingenommen war, ihn wiederzubekommen. Wo ihr Bemühen darin lag, einen Zugang zu ihm zu finden .. einfach nur um alles wieder gut werden zu lassen. Um selbst wieder einen Rhythmus finden zu können, welcher nicht fremdbestimmt von der Laune eines anderen abhing. Doch konnte die Moreau diesen Schritt nicht tun. Sie war nicht in der Lage, sich aus ihrem eigenen Gefängnis zu befreien und sich abzukoppeln – denn es ging um ihre eigene Familie. Es ging um jene Menschen, welche einen niemals fallen lassen würden und sie wusste, dass sie es genauso wenig konnte. Doch mit jedem Tag, mit jeder Woche und mit jedem Monat stieg ihr Opfer mehr und mehr. Dass sie kaum mehr Freundschaften besaß, war ihr nicht wirklich aufgefallen. Wie selten jemand spontan und ohne Ankündigung auf die Ranch kam – wurde ihr auch erst in dem Moment bewusst, wo sie Phobos vor sich stehen sah. Wo sie diesen einen Mann sah, welcher an ihrer Seite so tief mit ihr in die Dunkelheit gelaufen war und bei dem Priscilla Angst hatte, er würde nie wieder herausfinden. Denn sie tat es auch längst nicht mehr.
Umso mehr blätterte ihr Lächeln von ihren Zügen, riss ihre Fassade ein – sie sah ihn an. Einfach nur sah Priscilla ihn an, während alle Fragen in ihren Augen standen. Jene danach, warum sie. Warum es sie getroffen hatte und niemand anderen. Womit sie dieses Schicksal verdiente. Unter seinem Blick hatte jedes noch so gute Schauspiel keine Chance mehr, zu bestehen. Denn sie wusste, dass Phobos die Wahrheit sah, keiner sonst besaß einen so tiefen Einblick in ihr Leben wie er. Niemand anderes hörte tatsächlich die Wahrheit der Moreau, wenn man sie einmal fragte.
Und ein Zittern rann durch ihren Körper.
Ein Beben durch ihr Herz. Ein Bruch ging mitten durch. Ihre Fassade riss, als sie seine Arme um sich spürte und ohne wirkliche Gegenwehr ließ sich Priscilla von ihm wieder ins Haus tragen. Sie ließ sich einfach nur einen Moment hineinfallen in das Gefühl seiner Arme um sich herum. Seiner Stärke, inmitten ihrer Schwäche. Grade konnte Priscilla nicht daran denken, wie schlecht sie für ihn war; gleichsam sie an nichts anderes denken konnte.
„Er ist nischt gekommen“, flüsterte sie leise in die Stille hinein. In die Zerstörung um sie herum, welche sie bloß mit müdem Blick bedachte. Sie wusste, dass sie es wegräumen würde. Später oder morgen. Wenn nicht sie, dann die gute Seele des Gestüts. Und keiner würde eine Frage stellen. Doch schmerzte es im Moment, all die Scherben zu sehen und das vertane Essen. Schmerzte die Ernüchterung, was hätte sein können, worauf sie sich so gefreut hatte.
„Was ‘abe isch verke’rt gemac’t, P’obos?“, murmelte sie leise, während sie wieder zu ihm sah. „Dass isch den Mensc’en so we‘ tue.“ Indem sie ihn mit in den Krieg zog und ihren Bruder in den Abgrund hatte fallen lassen.
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Langsam hob er seinen Blick wieder, als sie mit ihm sprach. Vielleicht hatte er deutlich mehr Gegenwehr von ihr erwartet, aber da war nichts gekommen. Kein Kampf, kein Streit, nicht mal irgendwelche bösen Worte. Sie hatte es einfach über sich ergehen lassen, sich von ihm helfen lassen, sich die eigene Schwäche eingestanden. Gerade dann, wenn sie sich schwach und einsam fühlte, wollte er da sein. Er war der Lückenbüßer wenn sonst keiner mehr da war, um sie aufzufangen. Dann stand er da und würde sie auffangen, auch wenn er mit ihr in den Abgrund fiel. Dann fiel sie zumindest nicht alleine und war verletzt, aber nicht tot. Ganz egal was er dabei an sich selbst beschädigte. Das hatte keine Relevanz für ihn. So sehr er ihr helfen wollte, um so schlimmer war es für ihn hinter ihre Fassade zu sehen. Sicher wollte er nicht angelogen werden, er wollte ihr helfen und für sie da sein. Doch das konnte er nur, wenn er ihren Schmerz sah und ertrug. Und genau das fiel ihm so viel schwerer als den eigenen Schmerz zu ertragen. Manchmal wünschte er sich, dass die Fassade, die sie gerne aufbaute die tatsächliche Wirklichkeit war. Bildete sich gerne ein, dass er ein wichtiger Teil in ihrem Leben war, dass sie immer auf ihn zurück kommen würde, dass er ihr tatsächlich wichtig war. Aber tief in seinem Inneren wusste er, dass es anders war und akzeptierte es einfach. Das war eben den Preis den er zu zahlen hatte, wenn er bei ihr sein wollte. Genauso wünschte er ihr, dass ihre Traumwelt tatsächlich ihre Realität war und spielte das Spiel einfach mit. Solange es ging. Doch an solch einem Abend hatte es ein Ende. Ein Ende mit ziemlich großem Schrecken.
Schon im nächsten Moment war er wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Priscilla hatte all das veranstaltet weil ihr Bruder nicht gekommen war. Er war Familie, natürlich, war wichtiger. Ihn dafür hätte sie am liebsten wieder weg geschickt mit der Ausrede, dass das Haus voll war, dass sie Besuch hatte. Allein dieser Gegensatz ließ sein Herz deutlich schwerer werden und versetzte ihm einen unangenehmen Stich. Trotzdem versuchte er allein diese Tatsache zu vergessen. Das zählte jetzt nicht. Ihr Leid zählte. Traurig blickte er sie an, litt mit ihr, dass ihr Bruder sich nicht aufraffen konnte, dass seine Krankheit erneut gesiegt hatte.
Mit aufeinander gepressten Lippen sah er die blonde Hexe an. So gerne hätte er einfach mit ihr gesprochen, hätte ihr in den schönsten Worten erklärt, dass sie nichts falsch gemacht hatte, sondern das schönste und beste Geschöpf auf Erden war. Aber er konnte nicht. Er konnte es nicht in Worte ausdrücken, die ihre Ohren aufnehmen konnten. Oft genug hielten die Leute ihn für dümmlich, weil er sich nicht in Lautsprache ausdrücken konnte, aber trotzdem hören konnte. Wenn er zu gestikulieren begann, drehten sie sich oft weg. Bei Priscilla bestand zumindest die Chance, dass sie ihn verstehen konnte, doch nie eine garantierte Chance. “Nichts…du hast nichts falsch gemacht. Manchmal spielt das Leben auf diese Weise. Bitte gib nicht dir die Schuld. Es ist nicht deine Schuld. Du tust dein Bestes und mehr kannst du nicht tun. Es ist okay.“ Versuchte er ihr klar zu machen und nahm schließlich vorsichtig ihre Hände in seine. Die Tatsache, dass er nur vorbei gekommen war, um ihr ein Geschenk mit zu bringen schien plötzlich so unwichtig geworden zu sein.
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Dabei hatten sie eigentlich die beste Zeit ihres Lebens.
Sie hätten sie haben müssen, alle zusammen. Ihr Bruder, indem er seinen Traum auf so wunderbare und gelungene Weise erfüllt sehen konnte und wusste, dass es sein Verdienst war. Phobos, indem er seinen Platz im Orchester gefunden und die Gewissheit eines Talentes gefunden hatte. Priscilla, indem sie ihr Studium beendet hätte und ihren Platz in der Welt zu finden begann, welcher zuvor doch noch ein wenig unklar gewesen war. Doch nichts war gekommen, wie es hätte kommen müssen. Das Leben hatte alles verändert und anstatt Glück hatte es ihnen nur Leid und noch mehr Leid gebracht, mit jedem Tag und mit jeder Woche und mit jedem Monat; dass sie gar nicht mehr wusste: wo war ihr letztes ehrliches Lachen zu hören gewesen und wann der Ausdruck auf ihrem Gesicht einmal voll entspannter Zufriedenheit? So lange schon trug die Moreau schwer an dem Zerfall ihres Bruders, dass sie sich diese Fragen nicht mehr beantworten konnte. Vielmehr hatte sie sich in dem Gefühl von Rache verloren; in jenem Streben danach, ihrem Frust durch politisches Engagement ausmerzen zu können. Um irgendwas zu erreichen – irgendwas, was ihr wenigstens einen kleinen Sieg vergönnte, was sie wenigstens zufrieden einschlafen ließ und vielleicht für eine Nacht die nie schweigenden Gedanken still halten konnte, was Morgen wäre. Wann der Tag kam, an dem Peregrine endgültig nicht mehr aufstand, wenn er vielleicht in seinem Bett verhungert war und sie nur noch sein klapperdürres Knochengestell würde auflesen können. Wann Phobos endlich erkannte, wie furchtbar die Blondine im Grunde war und wie schädlich jeder Kontakt zu ihr.
Sie wusste, es würde kommen. Irgendwann würden all ihre Ängste wahr werden, denn sie kämpfte so lange schon gegen ein Leben, in welchem Dinge passiert waren, die zuvor nicht einmal in ihre Vorstellung gepasst hätten.
Dass sie jenem einen Menschen in ihrem Leben, dem sie noch immer etwas bedeutete – immer und immer wieder Messer ins Herz rammte. Dass sie ihn Tropfen für Tropfen bluten ließ, was immer Priscilla sagte oder tat, durch ihr Verhalten; welches ihm in einem Moment nahe und im anderen fern war. Dass all das Phobos brechen ließ – wenn sie es gewusst hätte, wahrscheinlich wäre dies in diesem Augenblick der eine Stein gewesen, welcher zu viel Gewicht auf ihre bereits am Boden liegende Gestalt fallen ließ. Welchen sie nicht länger ausgependelt bekam, um jemals wieder weiter zu machen und es war nicht, dass sie nicht lange schon daran gedacht hatte, ihre Eltern zu fragen. Jene zwei Menschen um Hilfe zu bitten, weil Priscilla alleine längst nicht mehr mit der Situation umgehen konnte. Ihren besten Freund, den einen Menschen, welcher zu jeder Zeit und ohne Vorbehalt ihr Rückhalt anbot – diesen einen Menschen zu verletzen wäre wohl das Ende von ihr selbst gewesen. Es wäre das Zuviel, was sie nicht mehr getragen bekam. Umso besser, dass sie es nicht wusste.
Auch wenn es furchtbar war für Phobos. Zwischen beiden stand das Leid. Seines, durch Priscilla erzeugt, welches ihn immer wieder zu ihr kommen ließ – wenn sie wegen ihrem Bruder litt.
Ihr Blick glitt über sein Gesicht.
Sie sah ihn fast an – sah ihn verzweifelt an, was er nun denken würde. Obwohl er so vieles wusste, hatte Priscilla es ihm sonst immer gefasst vorgetragen; ganz, als würde es sie nicht betreffen. Als wäre das nie ihre Geschichte gewesen. Sie hatte ihre Wunden verborgen, bis sie über diese hatte reden können und es ihm dann erst erzählt. Dieses Mal jedoch war er mitten rein gestolpert, in einen Moment, der einmal mehr ihr Inneres aufriss und sie brechen ließ und sie konnte nichts dagegen unternehmen. Ihn nicht draußen halten. Dabei war es bereits schlimm genug, dass sie ihn mit in den Anschlag auf das Ministerium hereingezogen hatte. Dass er sich wegen ihr in Gefahr begeben hatte.
Langsam setzte sich die Moreau auf, ehe sie seinem Blick begegnete. Stumm sah sie seinen Worten zu, doch auch danach saß sie bloß einen Moment auf der Couch, während ihr Blick durch das Wohnzimmer glitt. Über die Scherben und über die Zerstörung. Abbild ihres Lebens, für welches sie so viel geopfert und noch mehr aufgegeben hatte. Dann schüttelte sie den Kopf und ihr Blick hing wieder an Phobos. „Aber es sind die Mensc’en um misch ‘erum.
Du. Mein Bruder.“ Ihre Stimme klang dumpf unter der Erkenntnis, dass vielleicht nicht Priscilla die Schuld trug, doch dass sie auch nichts tat, um etwas abzuwenden. Sie hatte sich nie für jemand anderen aufgegeben oder aufgeben wollen. Und doch tat sie es nun für ihren Bruder.
„Isch kann nic’t me’r. Isch mag nic’t.
Wofür auc‘? Und morgen – wenn alles wieder beim Alten ist, wer sind wir dann?“ Damit stemmte sie sich von der Couch hoch und zog ihren Zauberstab, ehe sich keine Sekunde drauf die Scherben aus dem Essen lösten und ihr Porzellan sich zusammensetzte, die Essensreste unangerührt in Richtung Müll entschwanden. Die Ordnung wurde wiederhergestellt, doch veränderte es nichts an der Müdigkeit der Französin.
„Wer sind wir jetzt – so alleine am Fest der Liebe, P’obos?“
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