MISCHIEFmanaged (https://archiv.mischief-managed.de/index.php)
- boardid4 (https://archiv.mischief-managed.de/board.php?boardid=163)
--- Pensieve (https://archiv.mischief-managed.de/board.php?boardid=786)
------ dezember 2022 - Februar 2023 (https://archiv.mischief-managed.de/board.php?boardid=1086)
------- Welt (https://archiv.mischief-managed.de/board.php?boardid=1088)
-------- What is all this fuzz about? (https://archiv.mischief-managed.de/threadid.php?threadid=13059)
What is all this fuzz about?
Es war vollbracht.
Das neue Jahr hatte begonnen. Eine neue Ära war eingeleitet worden. Eine neue Größe würde über das Hospital kommen und der Selwyn sah mit festem Optimismus der kommenden Zukunft entgegen. Schließlich war allen die frohe Kunde gebracht worden, die Feiertage überstanden und die Menschen meist wohl glücklich, dass man sich so um ihr Wohlergehen zu sorgen bereit war. Noch würde es dauern, bis die Umbauarbeiten vollendet waren, bis alle Reglungen neu aufgestellt und alle Posten an die richtigen Leute vergeben worden waren. Doch Marcus wusste: es würde. Es würde gewiss werden und mittlerweile war es nur noch ein winziger Katzensprung bis zu jenem Thron, auf welchem er selbst inoffiziell seit Jahren schon saß und sich fest auf der Spitze hielt. Lediglich auf dem Pergament, wann immer es einer offiziellen Unterschrift bedurfte, war es doch der Oberste, der noch seine Signatur setzen musste – doch Marcus wusste, dass jener Mann längst überholt war. Dass er nicht mehr lange bleiben würde und sobald sein Trennungssystem im Hospital auch tatsächlich ins Rollen gekommen war, würde er alles dran setzen, den Ast abzusägen, auf welchem der Chefheiler saß. Denn er brauchte ihn dann nicht mehr. Es war lediglich eine Frage der Zeit und der guten Einführung seiner großartigen Idee, das Hospital wieder in das Licht der Aufmerksamkeit zu rücken. Indem sie keine Veränderungen scheuten sondern mit der Mentalität ihrer Gesellschaft und ihrer Kundschaft mitgingen. Nicht mehr mit Schlammblütern zusammenliegen und von keinem Halbblut mehr behandelt zu werden war gewiss etwas, was die elitäre Schicht der Magiergesellschaft zufriedenstellte und was genug Anklang fand, um die leisen Proteste der Widersacher zu ersticken. Natürlich hatte es auch bei der Neujahresgala Protestaten gegeben – die gab es immer. Doch sie waren belächelt worden.
So sonnte sich der Selwyn noch immer in seinem eigenen Erfolg.
Er wirkte in den letzten Tagen sogar freundlicher wie während seiner gesamten Zeit zuvor, die er im St. Mungo’s bereits zugebracht hatte. Nur wer konnte es ihm verdenken? Denn dies alles, was geschah, es war sein Erfolg und es war alleine aus seiner Kraft herausgewachsen, dass eine Veränderung getan worden war. Denn niemand sonst hatte Ideale, die er so erbittert verfolgte und Ziele, welche mit einer solchen Kraft umgesetzt wurden. Denn Marcus hatte Opfer gebracht. Große Opfer für diesen Augenblick jetzt. Am Ende hatte er sogar seine eigene Ehe dafür auf eine harte Probe gestellt und selbst jetzt noch war es nicht zu Ende, was ihn belastete. Denn noch immer war Lif wie ein Geist unter Lebenden, war sie zwar aus Materie – doch ihr Wesen es war von ihm fortgetrieben. Er brach und brach doch an ihrem Anblick jedes Mal etwas mehr. Wie oft Marcus behauptete, dass er alleine es war, den er zum Leben brauchte. Dass nur er sich selbst Vertrauen und Sympathie entgegenbrachte; er spürte das Ausmaß dieser Lüge am eigenen Leib und war machtlos gegen jene überwältigende Fähigkeit, die Lif auf ihn ausübte. Nicht, dass sie es bewusst tat. Doch selbst ohne jeden Willen dazu war es ein Gefühl, welches dem Selwyn bis dato fremd geblieben war. Er und Sorge um einen Menschen.
Er, dem das Blut der Unschuldigen an den Händen klebte, weil er bereit war, Experimente durchzuführen, die es zum Durchbruch der Medizin bedurfte. Marcus tötete, wenn es von Nöten war. Er rettete Leben, wenn es gebraucht wurde. Er folterte und quälte, wenn ihm danach war und er gebrauchte Gewalt, wenn seine Contenance riss. Dass ein solcher Mensch noch immer und trotz allem genug Herz und genug an Menschlichkeit besitzen konnte, um seine eigne Frau zu beschützen und ihr das Beste geben zu wollen, um bangend ihre Genesung herbeizusehnen .. er selbst hatte es nicht geahnt, niemand wohl, war bereit gewesen, ihm so viel Dasein zuzuschreiben.
Denn jene Angst, die seinen unerwarteten Gast immer und immer wieder durch die Gänge trieb war es, welche Marcus seit jeher beabsichtigte. Er wollte Furcht und er erzwang sich Respekt aus Angst heraus, welcher ihm entgegengebracht werden sollte. Durch Strenge und durch Stärke. Dazu gehörte auch ein unerbittliches Auftreten und ein in sich greifendes Handeln: was er sagte, geschah. Wie gut oder wie schlecht es sein mochte, stand Marcus zu seinem Wort.
Längst war Henry ihm angekündigt worden. Mit einem leisen Lächeln lehnte sich der Mann in seinem Stuhl zurück, während er die Fingerspitzen aneinander gelegt, zur Tür blickte und vage lächelte. Er wusste nicht, wie lange er warten musste – doch er tat es reglos. Jede weitere Runde, die Henry antrat, nur um am Ende: die Stille. Seufzend griff er nach seinem Zauberstab und es war ein Signal, welches auf dem Schreibtisch hinter Henry losging. Seine Sekretärin stand auf, nur um Henry mit einem freundlichen Wortschwall und passende Getränke mit geschickten Bewegungen in das Büro zu bringen. Sie schloss die Tür hinter sich und damit war Stille.
Ein leises Ausatmen, dann richtete Marcus seinen Blick auf seinen Gast. „Henry“, erwiderte er in ruhiger Höflichkeit, während er sich ein Lächeln verkniff. „Wie geht es Dir? Ich bin überrascht von Deinem Besuch ..“, sicherlich – er war dem anderen schon länger nicht mehr privat begegnet.
#
Und zu dem wollte er sich gerade absolut bereitwillig begeben, damit er ihn aufklären konnte? Dumme Sache. Ganz dumme Sache, da war sich Henry sicher.
Kaum verwunderlich, dass er sich so lange davor drückte. Auf seine ganz eigene Art und Weise. Indem er herumlief und herumlief, durchspielte, ob er nicht vielleicht doch noch verschwinden würde, einfach zu gehen würde und sich fern von dem Heiler hielt, so wie es jeder Mensch bei gesundem Verstand tun würde.
Und dennoch stand er hier vor dieser Tür, wollte rein – wollte er doch, oder? - und konnte doch nicht den Mut dafür aufbringen. Stand lieber mit klopfendem Herzen da und sah seiner leicht zitternden Hand zu, wie sie sich scheute den Knauf anzufassen und damit den ersten Schritt einzuleiten. Traurig, wie er sich nicht traute so etwas simples zu tun und am Ende wurde ihm diese Entscheidung doch abgenommen. Er hatte keine Entscheidungsgewalt darüber, als die Dame hinter ihm plötzlich in Bewegung kam und ihn im nächsten Moment, ehe der Nott auch nur wusste, wie ihm geschah, in dem Büro ablud. Nicht ein Wort des Protests war über Henrys Lippen gekommen, bis er in dem Raum stand. Ein unwohles Gefühl in der Magengegend, ein dicker Kloß im Hals.
Einen imensen Sprung machte sein Herz, als er Marcus Stimme, den er bis zu diesem Zeitpunkt tatsächlich ignoriert hatte, während er damit beschäftigt gewesen war seine Situation um sich zu sortieren, hörte, sein Kopf schoss herum und unwillkürlich machte Henry einen Schritt zurück, wäre am liebsten wieder durch die geschlossene Tür in seinem Rücken verschwunden. Ohne sie zu öffnen. Einfach durch sie hindurch. Vorsicht war sicherlich angebracht. Gut möglich dass Henry hierbei geradezu ehrgeizig über das Ziel hinausschoss. Aber Marcus war gefährlich, er hatte ihm nicht gut getan, das wusste Henry mittlerweile, da konnte er noch so blauäugig sein, Fakten waren nun einmal Fakten und er würde den Teufel tun dem anderen naiv gegenüber zu treten. Hoffte er zumindest. Sein Blick huschte zu seiner Hosentasche, spielte mit dem Gedanken, ob er zur Vorsicht nicht schon lieber nach seinem Zauberstab greifen sollte, damit er hier so schnell wie möglich weg kam,sollte der Heiler es darauf anlegen.
„Ahm“, machte der Nott nur im ersten Moment, leckte sich über die Lippen und ließ lieber den Blick unruhig durch den Raum wandern, statt ihn auf den Selwyn zu richten. „Gut?“ Als würde Marcus ihm sagen können, dass er sich nicht gut fühlte oder sein Gefühl ihn nicht betrog, formulierte er es als Frage. Bisher ging es ihm auch gut. Er war zwar nicht weit davon entfernt wie Espenlaub zu zittern, aber ansonsten… und eigentlich hatte er nicht vor, dass sich das ändern könnte. Mehrfach hintereinander schluckte Henry schwer, als müsste er etwas aus seinem Hals beseitigen, ehe er schließlich hervorbrachte, ganz unverblümt und in der Hoffnung, dass er schneller hier fort konnte, wenn er noch schneller als sonst direkt zu dem kam, was er wollte: „War Theo hier?“
#
Es war ein Irrglaube, dem viele Menschen unterlagen, seine Wünsche in das neue Jahr zu tragen.
An einem Abend bereit sein, sich die Freiheit zu gönnen, alles als Möglich zu betrachten. Sich selbst mit einem Schritt über die Schwelle zu bringen, der einmal mehr behaftet von Erwartungen war. Denn weder brachte die Silvesternacht eine Reinkarnation der eigenen Seele, noch besaß diese Nacht irgendwelche besonderen Kräfte um für die Erfüllung der Wünschenden Sorge zu tragen. Es war alleine die Eigenkraft, welche man sich selbst abverlangen musste, wollte man sich selbst siegen und nicht scheitern sehen. Kaum jemand wusste um diese Notwendigkeit besser wie Marcus Selwyn. Jener Mann, der als Junge zerstört worden war und nun jeden Tag in diesem Büro saß, in dem Wissen, dass er Großes vollbrachte. Groß war, was Bedeutung besaß. Es wurde ohne jede Wertung gebrochen aus einem Willen, manches Mal kommend aus einer Notwendigkeit – denn Marcus hatte eine Entscheidung treffen müssen, die viele Jahre zurück lag: er hatte in dem Schatten seiner eigenen Vergangenheit bleiben können. Oder, so wie er es getan hatte, sich dagegen entscheiden können, um dem beschwerlichen Weg zu folgen, seinen eigenen Namen ein Fundament zu geben. Gewiss war Größtenwahn in den Gedanken des Mannes vorhaben, wenn er über das Hospital redete. Doch alleine die Gala vor wenigen Abenden bewies, dass selbst das Unmögliche erreichbar war, wenn man sich nicht von dessen Größe abschrecken ließ. Man musste nur weitläufigere Horizonte setzen, als man glaubte, sehen zu können. Er hatte nicht aufgegeben und er hatte einen kleinen Teil zurückbekommen für seinen Kampf, den er geführt hatte. Gegen das System, teilweise auch gegen sich selbst; in dem Balanceakt der eigenen Treue und der Erwartungshaltung an seine Person war Marcus nicht untergegangen, sondern er saß noch immer hier. Er war.
Und er war jemand – der im Moment in aller Munde war, in allen Zeitungen beschrieben wurde. Dabei spielte es keine Rolle ob positive oder negative Worte fielen: sie wurden niedergeschrieben und damit für alle Menschen zu einem Aufmerksamkeitsfunken, dass es ihn gab, der das Hospital reformiert hatte. Irgendwann würde es so weit sein, auch wenn es gewiss noch Monate der präzisen Planung, der perfekten Ausführung und der vorsichtigen Unterwanderung bedurfte, bis er auf sein vollendetes Werk würde blicken können.
Doch genauso wenig wie ein neues Jahr einem die erhofften Wünsche brachte, ließ es die vergangenen Taten unvergessen lassen. Sie blieben und dies war mittlerweile eine Gewissheit in dem Leben des Mannes geworden, um welche er nicht herum kam. Er war Jahr für Jahr mehr in dem Glauben verloren gegangen, dass er die Macht besaß, Welten zu bewegen und er mochte vielleicht als einer der wenigen Menschen die Fähigkeiten dafür haben und vor allem den Drang, diese Bewegungen auslösen zu wollen. Denn er schreckte nicht vor den Konsequenzen zurück. Marcus Selwyn hatte viele Fehler und etliche von diesen blieben ungesehen vor dem Rest der Welt. Doch einer gehörte nicht dazu: wenn, stand er zu dem, was passiert war. Indem er sich damit auseinandersetzte und versucht war, die Gefahren abzuwenden. Auf einem denkbar falschen Weg und auf eine Art, die keine Lösung hervorbringen konnte, doch ließ ihn dieses Wissen nicht vor der Tat zögern. Er handelte, wo andere Menschen noch Abwägungen taten und haderten, da steckte Marcus bereits bis zu beiden Ellbogen in dem Körper eines Menschen um ihn zu retten. Er war kein guter Mensch, keiner mit einer weißen Weste. Vielmehr war seine Seele tiefschwarz und gespalten in dem Gegenüber mit jenen Opfern, die er bereits erbracht hatte. Doch sie waren für einen Sinn und für einen Zweck gewesen; sie waren aus der Handlung heraus gekommen. Er rettete Leben aus einem Affekt heraus, etwas zutun und nicht lediglich da zu stehen und die Welt zu zerdenken.
Doch jede Handlung hatte auch eine Wertung zur Folge und genug seiner Taten hätten nichts anderes wie Abscheu und Missbilligung bei einem Großteil der Bevölkerung wachgerufen. So, wie er seine eigene Frau über Jahre hinweg misshandelt und geschändet hatte, indem er ihr Gewalt angetan hatte. So, wie er unschuldige Leben gefährdete in dem Willen darum, in er Medizin weitere bahnbrechende Erfolge erzielen zu können. So, wie er einem genannten Freund jede Möglichkeit des Vertrauens geraubt hatte, schlimmer noch, durch Qualen ersetzte und ihm ebenjene dann genommen hatte, dass sie nur als vager Schatten vorhanden blieben. Marcus hatte in nicht unerheblichen Teilen Einfluss auf jenen Zustand genommen, der Henry nun auszeichnete und vielleicht lag es daran, dass er seit über einem Monat bereits seine eigene Frau jeden Tag weiter von sich wegtreiben sah – vielleicht daran, dass auch bei dem Selwyn ein Punkt erreicht werden konnte, ab welchem seine Kraft nachließ. Sich erst wieder neu sammeln musste, alle Reserven verbraucht worden waren: doch er stand an einem Punkt, an welchem er nicht länger durch jenes Podest erhöht wurde, welches ihn von dem Rest der Menschheit trennte. Nicht mehr in dem Licht, obwohl er just dieser Tage öfter und intensiver gesehen wurde, wie alle vorangegangenen Arbeitsjahe.
So ließ sich Marcus in den Sessel fallen, nachdem er mit einem Wink seine Sekretärin hinausgeschickt hatte und einen Moment lang zeichneten den Mann nicht mehr als müde Augen im Schatten der Ringer darunter. Es hatte Kraft gekostet. Diese war es wert gewesen. Jede Minute, jede schwere Stunde und jede Diskussion mit seinen Untergebenen oder mit seinem Chef. Jeder Kampf um einen Patienten und jede neue Schwierigkeit, selbst sein Privatleben dass aus den Fugen geraten nach ihm verlangt hatte: alles war es wert gewesen, dafür jetzt hier zu stehen. Und doch: was, wenn der Preis zu hoch gewesen war für den Gewinn, welchen es ihm brachte?
Denn erst jetzt, langsam und in winzigen Schritten, sah Marcus das Ausmaß seines Verhaltens wirklich klar vor sich. So klar, wie es ihm möglich war. Er sah die tiefen Wunden von seinem Kampf, die er anderen und damit auch auf gewisse Weise sich selbst zugefügt hatte. In dem Zentrum von allem war und blieb es seine eigene Frau als Opfer, die da stand und gelitten hatte. Noch immer litt. Er würde niemals ein Mensch voller Herzensgüte werden. Noch immer gab es genug Stellen, an denen sich Marcus im Recht wähnte die moralisch undenkbar waren und jene würden immer bleiben. Doch er war gezwungen worden, mehr Einsicht nehmen zu müssen, als er jemals hatte haben wollen.
„Du wirkst nicht so“, stellte er lediglich fest. Ehe der Mann eine Augenbraue hob und den Kopf ein wenig zur Seite legte. Er griff nach seinem Stab, der auf dem Tisch lag und rief zwei Gläser samt Flasche hervor.
„Gewiss war Theodore hier. Zuletzt am Abend der Reform.“
#
Und Marcus … war nun einmal nur Marcus. Mittlerweile ein Mann, bei dem Henry nicht einfach aufschlug, um Gefallen auszuführen, bei dem er überhaupt noch freiwillig aufschlug. Das war vorbei und es würde bestimmt – davon war Henry aktuell überzeugt – würde es auch nicht wieder kommen. Er fürchtete Marcus. Fürchtete sich, dass der andere wieder auf die Idee käme mit irgendeiner fixen Idee den Zauberstab gegen ihn zu richten. Er war nicht grundlos auf dem Wiesn-Fest verschwunden, bevor der Heiler ihn eingeholt hatte. Er hatte nicht umsonst die Nächte darauf wachgelegen und Angst davor gehabt, dass der Selwyn plötzlich hier auftauchen könnte, nachdem er schon einmal in seinen eigenen vier Wänden gewesen war, um Brooke zu besuchen. Unter diesen Umständen war die Option von Henry einfach umzuziehen gar nicht mehr so übertrieben, wie er fand.
Fest presste er die Lippen bei den Worten des anderen zusammen, während er angespannt versuchte den Blick in dessen Richtung zu halten. Schwer schluckte er. „Nervös vielleicht.“ Ja, so viel Ehrlichkeit musste natürlich sein. War klug Marcus zu sagen, wie es ihm ging. Aber diese Sache mit dem Lügen … jaaa… nein und genau genommen wusste Henry ja nie wirklich, wie es ihm ging, wenn ihm nicht gerade eine geballte Ladung Emotion ins Gesicht schlug. Unruhig trat er auf der Stelle und unwillkürlich schob er eine Hand in seine Hosentasche, umgriff den Zauberstab. Einfach um zu verschwinden, wo gerade in diesem Moment, der so stechend still war, die Panik langsam aber sicher in ihm hochzukriechen begann. Er wollte nicht hier sein. So gar nicht. Er wollte das Mungos nicht von innen sehen, aus der Angst heraus, dass er es nicht mehr verlassen konnte.
Zischend schnappte er nach Luft, zuckte ruckartig zusammen und machte einen Schritt nach hinten, als der andere zu seinem Zauberstab griff. Fester klammerte der Nott sich an seinen eigenen, zuckte mit der Hand bereits nach oben, sodass er den hinteren Teil des Holzes hervorzog und hielt angespannt wartend in der Bewegung inne, folgte mit dem Blick der Bewegung zweier Gläser und der Flasche. Ein Rucken ließ seinen Kopf zucken, nicht wirklich als ein Nicken wahrnehmbar. „Was“, setzte er an und seine Stimme war brüchig und unsicher, als könnte er zu laut sprechen. Als fürchtete er auf sich aufmerksam zu machen, wo er doch außer dem Heiler der einzige in diesem Raum war. „was hast du ihm gesagt?“ Henry stockte. Schwieg. Presste die Lippen aufeinander, bis sie ganz weiß wurden. „Er glaubt, ich nehme Medikamente!“ Und das tat er doch nicht. Und es war Marcus Name gefallen. Er MUSSTE etwas wissen. Wie sonst sollte Theo so etwas denken. Etwas, was Henry so oder auch irgendwie anders niemals gesagt hatte.
#
Letztlich war und blieb Henry nicht mehr als ein Spiel.
Wie so viele andere Menschen hatte er dem Selwyn einen Anlass gegeben und auf sich aufmerksam gemacht, durch sein Versagen war er ihm aufgefallen und die Wellen hatte zu schlagen begonnen, welche der Selwyn immerzu weiter aufpeitschen ließ. Denn das Leben wurde langweilig, wenn man ihm nicht immer und immer wieder einen gewissen Input zusprach. Gewiss hatte er stets und zu jeder Zeit alle Hände voll zutun und musste darauf aufpassen, dass sich kein noch so winziges Detail aus seinem Leben heraus verlieren würde – doch darüber hinaus hatte Marcus nie vergessen, welchen Reiz es ihm bot, mit Menschen zu spielen. Noch immer waren sie in seinen Augen lediglich Objekte, die man erforschen und analysieren musste, welche man dank der eigenen Überlegenheit führen und unterwerfen konnte, wenn man es denn richtig anstellte. Und er wusste, er musste es richtig anstellen – mittlerweile lag für den Mann zu vieles auf der Goldwaage und ein fehlendes Gleichgewicht brachte fatale Folgen mit sich, welche er dann auffangen und einmal mehr ausgleichen musste. Wie jener Verlust seiner eigenen Frau, der ihm endgültig vor Augen geführt hatte, dass er zu viele Dinge drehte und nicht an jeder Ecke präsent sein konnte. Wenigstens nicht durchgehend und in gleichbleibender Aufmerksamkeit. Anderes musste dafür weichen. Etwas, was uninteressanter geworden war.
Alles rund um Henry hatte Marcus hauptsächlich Freude und Amüsement bereitet – jenen armen Wurm, welchen er vor so vielen Monaten vor sich stehen gesehen hatte, der eines seiner Objekte verpatzt und in diesem Zug versagt hatte. Er hätte groß werden können, er hätte seine Schande rein waschen und diesen einen Moment für sich nutzen können, in welchem einem die Aufmerksamkeit des Selwyn voll und ganz zugestanden wurde und wo sie noch unbefleckt von jedem Urteil war. Henry war, wenngleich sie eine rege Freundschaft gehegt hatten, ein Fremder gewesen. Er hätte Marcus überraschen und für sich gewinnen können.
Überrascht war Marcus allemal gewesen. Für sich gewonnen hatte Henry ihn dennoch nicht. Und damit waren die Würfel gefallen, damit war das Rad ins Rollen gekommen und Henry zwischen die Mühlen geschubst worden .. weil es Spaß machte.
Doch längst fehlte dem Chefheiler die Zeit für solche Lappalien.
Er hatte jedes Interesse an dem Nott verloren, seit dieser begonnen hatte, schwer zu werden. Seinen Sieg hatte Marcus schließlich mit dem finalen Cup des letzten Experiments gewonnen, ein würdiger Abschied um ein Opfer fallen zu lassen und jenem die Überreste einer völlig zerstörten Psyche zu übergeben, denn keine noch so starke Persönlichkeit hätte seinen Angriffen unbeschadet standhalten können. Marcus wusste, dass in dem Kopf des anderen zu großes Chaos herrschen musste, er hatte seine Geschichte um Henry herum aufgebaut und weitergesponnen, dass diese Lüge wohl nur mit äußerster Disziplin durchbrochen werden konnte und selbst dann war sie vielleicht entlarvt worden, doch würde die Wahrheit verschwunden bleiben. Wie oft man seinen Namen auch im Bezug mit Henry erwähnen würde, jeder Faden verlief sich in einem Knoten, welchen Marcus geknüpft hatte. Er hatte sich vielleicht das erste Mal mit einer der ältesten Reinblutfamilien angelegt, doch unabsichtlich war alles erst entstanden – denn Henry hatte grade zu darum gefleht. Am Ende gab Marcus jedem nur, was er verlangte und jedem das, was er verdiente. Henry hätte ihn überzeugen können und es war ihm nicht gelungen. Kein einziges Mal.
Damit war er für den Selwyn gestorben und unwichtig geworden. Womöglich noch präsent, doch längst zu alt in dem Kopf des Mannes, der mit so vielen grandiosen Gedanken jonglieren musste, dass irgendjemand zwangsläufig hinabfallen würde. Wenn es da einmal wenigstens die Richtigen traf, welche er vergaß, war es umso besser. Erfreulicher. Dass der Nott trotz allem nun vor ihm stand glich auch eher einer nervenden Angelegenheit, doch betrachtete man sein Endprodukt gerne immer Mal wieder. Nur um selbst mit zu erleben, welche tiefen Spuren er an diesem Mann hinterlassen hatte und voller Zufriedenheit zu sehen, dass es einem selbst einmal mehr gelungen war, zu einem Meister in der Disziplin zu werden. Marcus rettete Leben.
Doch er zerstörte sie genauso oft. Denn alles hatte seinen Preis und er war nie bereit gewesen, das Schicksal darüber bestimmen zu lassen, was bezahlt werden musste.
„Soso.“ Er nickte lediglich. Es interessierte Marcus nicht mehr. Henry war ausgespielt, er war an den Rand gedrängt und vor allem war er besiegt worden. Mit einem alten Rennbesen flog auch kein ordentlicher Zauberer mehr, der etwas auf sich gab.
Einen Moment schwieg der Mann und betrachtete Henry lediglich.
Es verbarg sich ein Lächeln hinter dem leichten Zucken um seine Mundwinkel herum, doch fielen die Gesichtszüge schnell in eine besorgte Note hinab. „Du nimmst etwa keine? Dabei weißt Du doch, dass Du Deine Medikamente nehmen musst, Henry!“ Er hob eine Augenbraue und trank einen Schluck. Die Stimmlage war wie immer perfekt, griff nahtlos in seine Gesichtszüge ein, alles wirkte wie es musste. Der Heiler, der einem Freund half und feststellen musste, dass seine Hilfe ausgeschlagen wurde. Ein Mensch, welcher sich um das Wohlergehen eines anderen kümmerte .. tatsächlich daran einen Gedanken verschwendete. Dass Marcus nicht gähnte vor Eigenlangweile war auch alles. Doch wusste er längst, dass seine Selbstsicherheit durch alles, was Henry an ein wenig Rettungsboot über die eigene Unsicherheit finden konnte, durchdringen konnte. Wer darum bettelte, einmal mehr ins kalte Meer der menschlichen Interaktion gestoßen zu werden. Er würde niemanden je einen solchen Gefallen ausstoßen.
„Schließlich passiert es sonst wieder. Das möchtest Du doch nicht, oder? Theodore ist lediglich besorgt um Dein Wohlergehen, genauso wie ich.“
#
Der Vorteil war es dabei eindeutig, dass man nicht von Kleinigkeiten belastet wurde, die einem nur den Platz im Kopf verbrauchten oder diesen versperrte, weil es eine dieser lästigen Informationen war, die einen zum Grübeln zwangen. Zum Denken und Durchdenken. Nachdem Henry dazu ohnehin neigte, sich tausend mögliche Varianten für alles mögliche auszudenken, Millionen furchtbare Szenarien, wie Situationen enden könnten, war es wohl wirklich besser, wenn er nicht wusste. Auch wenn es hier hilfreich wäre. Er würde nicht wie ein Reh im grellen Lumos hier stehen und Marcus anstarren und nicht wissen, was los war. Er würde sich nicht die Szenarien ausmalen. Dass Marcus am Ende noch in Theodores Kopf herumgepfuscht hatte. War doch möglich? Wieso sollte er nicht? Weil sie beide Reinblüter waren? Hatte den Selwyn auch nicht bei dem jüngeren Nott abgehalten, aber bei Theo? Was wenn nicht? Was wenn sein Bruder deswegen dachte, das er Medikamente nahm, dass er noch zu Marcus ging, wo das hier der erste Besuch seit langer Zeit war.
Dass Marcus seine Gesichtszüge perfekt im Griff hatte, machte es für Henry nur umso schwerer. Subtiles war schon schwer zu erkennen, ging an ihm vorbei, er bemerkte es nicht, aber etwas, was man perfekt oder fast perfekt im Griff hatte, da hatte der Nott einfach keine Chance es zu durchschauen, daran zu zweifeln, weil es war perfekt, so wie es wohl sein sollte, sein musste. Dennoch prallten hier scheinbar zwei Realitäten aufeinander. Das, was Henry lebte, von dem er wusste, dem er vertraute, weil er doch seinem Kopf vertraute, egal ob es etwas Gutes war, das er da ausspann, oder er um das eigene Haus Schatten sah, die es ihm verboten sich an die Fenster heranzuwagen und ihn mit dem Rücken an die Wand gepresst die Treppe hochschleichen ließen. Aber seinem Kopf konnte er vertrauen. Marcus hatte nicht mehr in seinem Kopf herumgepfuscht, Theo hatte das korrigiert. Da war alles wieder gut. Oder?
Fest presste er die Lippen aufeinander, zog die Stirn etwas kraus. „Ich nehme keine Medikamente“, murmelte er und schüttelte den Kopf. Wieso sollte er auch. „Ich muss keine Medikamente nehmen!“ Für was denn? Er war wie immer, nur dass er sich von dem Heiler fernhielt und das aus purem Selbsterhaltungstrieb, aber sonst war alles wie immer. Zumindest bei ihm. Henrys praktisch eingefrorener Welt.
Tonlos klappte er den Kiefer auf und wieder zu. Dass Theodore sich sorgte, das glaubte er sofort. Dagegen würde er nichts sagen. Wieso auch. Theo war sein Bruder. Er hatte immer auf ihn aufgepasst. Mehr oder weniger gut – nicht dass Henry da unterschied. Der Ältere hatte aufgepasst. Punkt. Hatte ausgereicht und Henry würde sich nie über auch nur ein Details beschweren -, aber egal, ob er ihm jetzt die Erinnerungen wieder hervorgeholt hatte, oder ob Henry sich praktisch in seinem Schatten hatte verstecken können, wo das Haus wieder voller anderer Schatten waren, die weniger gut waren. Theo war eben da gewesen. Aber bei Marcus, da war Henry sich nicht sicher. Er wagte es sogar es absolut zu bezweifeln. Glaubte er nicht. Er wusste, was Marcus in den letzten Monaten ihm angetan hatte und er war vielleicht treudoof, aber nicht dumm. Sogar Henry konnte Grenzen ziehen. Und die war erreicht. Und wenn er es nur umsetzte, dass er sich – normalerweise – keine hundert Meter mehr an den Heiler heranwagte. „Wieso sagst du ihm, es geht mir nicht gut?!“ Sobald der Satz seine Lippen verlassen hatte, presste er die Lippen wieder aufeinander. Die Hände verkrampften sich in seinen Taschen. Das Holz seines Zauberstabs wurde mittlerweile unangenehm war durch den Hautkontakt, lag wie festgeklebt in der Hand des Notts. „Was soll wieder passieren?“ Dass Marcus ihm etwas antat? Ihm irgendwelche Flüche aufhalste? Ihm etwas ins Trinken mischte?
#
Powered by: Burning Board Lite 1.0.2 © 2001-2004 WoltLab GmbH