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The Voice
Hinter geschlossenen Lidern zuckten Augen nach rechts und links. Unaufhaltsam, bis zur Schmerzgrenze und darüber hinweg. Domenics Lider flatterten und zuckten und hie und da blitzte fahles Weiß zwischen seinen Lidern hindurch. Über graublau schimmernder Iriden hinweg, die nicht gänzlich zwischen den winzigen Spalten aufleuchtete und vielmehr wirkten wie schwache Erinnerungen, Echos, Illusionen von etwas, das eigentlich garnicht mehr da war. Tief schnaubend atmete Domenic ein und aus. Ein hohes Pfeifen drang aus seinen halb geöffneten trockenen Lippen und dann erstarrte er. Atmete nicht mehr. Seine Lider schlossen sich gänzlich, hart aufeinander gepresst. Seine Gesichtszüge entspannten sich. Die wild pulsierende Ader an seiner Stirn verschwand und Domenic hörte nicht mehr. Sah nicht mehr. War nicht mehr. Spürte nicht, wie die Matratze sich neigte, als Aisling, die von seinen unruhigen Bewegungen aufgewacht war, sich herumdrehte und ihn an der Schulter berührte. Hörte nicht wie sie scharf die Luft einzog, als sie die kalte Haut unter ihren Fingern spürte. Als hätte man mit einem einzigen Schlag alles Leben aus ihm hinaus gerissen.
Federleichte Sorglosigkeit breitete sich in ständig schneller werdendem Tempo ungebremst in ihm aus, flutete buchstäblich durch ihn hindurch und über die Grenzen seines Körpers hinweg, oder... oder auch nicht. Unweigerlich hoben sich Domencis Mundwinkel als Glück in seinem Bauch aufstieg und sich ausdehnte, bis zu dem Punkt, an dem er glaubte er müsste platzen.
Er wusste nicht wo er war, wusste nicht wann er war, interessierte ihn auch nicht. Glück umhüllte ihn, wärmte ihn, leuchtete und strahlte und Domenic wollte für immer hier bleiben. Für immer....
Hopes Stimmen brachen durch den Nebel aus blendendem Glück hindurch. Domenic sah sich um, war geblendet und doch nicht und das Grinsen auf seinen kindlichen Zügen wurde noch breiter und immer breiter, strahlte glückselig sorglos vor sich hin, als sein Blick auf die Lichtgestalt fiel, die eigentlich nichts war und doch alles - genug. Wärme stieg in Domenic empor und farbige Funkeln tanzten vor seinen Augen, als er das Gefühl hatte er müsste jeden Moment Regenbogen kotzen. Soviel Glück strömte durch ihn hindurch, dass ihm fast schon wieder schlecht wurde. Aber nur fast.
Hopes Frage glitt wie ein melodischer Singsang an seinen Ohren vorbei und Domenic zuckte mit den Schultern. Weil es doch auch garnicht wichtig war, ob das hier er war oder etwas ganz anderes, weil es doch so nebensächlich war: wo er doch so glücklich war. Konnte sie das nicht spüren, nicht sehen, nicht hören? Soviel Glück. Soviel und überall. "Hier will ich bleiben..." seufzte er und eine kindliche, sorglose Stimme drang aus seiner Kehle. Domenic schloss grinsend die Augen und hob den Kopf. Als er die Augen wieder öffnete strahlte ihm ein engelsgleiches Lächeln entgegen. Wie in einem Wasserspiegel, der sich nicht zu seinen Füßen ausbreitete sondern eben dort schwebte, wo eigentlich Wolken vorüberziehen sollten, wenn es denn Boden und Himmel und Erde gegeben hätte, was es nicht tat und deswegen war es auch alles garnicht so wichtig. Domenic erkannte sich und gleichzeitig nicht. Die kindlichen Züge, das weiche Gesicht, die dunkelblonden, fast gold schimmernden, Haare und die leuchtenden graugrünen Augen und das Welten brechende Lächeln. Er konnte einen weit, weit, weit entfernten Singsang hören, der sich anhörte wie mehrstimmiges wohlklingendes Glockenspiel und Domenic schloss erneut die Augen. Summte unbeschwert vor sich hin. Als er sich wieder umsah, konnte er das Schimmern einer engelsgleichen Gestalt sehen, die strahlend hell und golden in fast greifbarer Nähe schwebte, so groß und warm, Kein Gesicht, nur soviel Lächeln und Freude und Glück, das Domenic anzog, dem er folgte. und selbst wenn er nicht gewollt hätte, doch nichts hätte dagegen zu setzen gehabt. Domenic schwebte dem Engel entgegen, Hopes Lichtstrahlen mit sich ziehend. "Sieh nur... sieh..." flüsterte er summend und grinsend und tauchte hinein in die Wärme der bedingungslos liebenden Mutter, deren leuchtende Federn ihr Kind umschlungen.
Ein Riss schoss durch die Welt. Schwarz und eisern und kalt und Domenics Glück brach. Brach in tausende Stücke. Licht floh. Floh so rasend schnell vor Dunkelheit die sich ausbreitete, vor schwarzen Flammen, die kalt um sich schlugen und zerrten und nach allem Griffen, was sie finden konnten. Und Domenic schrie, schrie, schrie, schrie. Schrie so laut und blieb so stumm.
Ein dünnes Rinnsal Blut sickerte aus Domenics Nase und an seiner Wange entlang. Flüssig bitterer Speichel floss über Domenics Mundwinkel und pfeifend abgehakt zog er Luft in seine Lungen und presste sie bleiern schwer wieder hinaus, während jeder Muskel wie zu leblosem Stein erstarrt war.
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Bilder blitzten um Hope herum auf, als würde sie plötzlich in die Materie gezogen. Es waren immer immer nur ein kurzes Aufflackern, als würde jemand in einem stockdunklen Raum mit Blitz fotographieren. Ausschnitte, Bilder, Momentaufnahmen eines Lebens, das nicht ihres war, aber sich mit jedem Bild mehr wie ihr eigenes anfühlte. Sie sah den Jungen mit einer schönen Frau, wie sie in einem hellen Zimmer zusammen am Klavier saßen. Wie sie mit ihm sprach. Wie sie an seinem Bett saß und eine Geschichte erzählte, damit er nach seinen Albträumen wieder einschlafen würde kennen. Hope spürte förmlich die Liebe, die zwischen den beiden bestanden hatte und in diesem Moment war diese Frau ihr vermutlich sogar wichtiger als ihre eigene Mutter. In diesem Augenblick war sie ihre Mutter. Es fühlte sich alles so echt an. Und auch wenn sie immer nur für einen Augenaufschlag sah, nur für einen Augenblick die Erinnerungsfetzen auffing, die durch Domenic pulsten, auch wenn sie immer nur daneben stand und auf das Bett blickte, hatte sie gleichzeitig das Gefühl, sie läge dort. Sie wäre der Junge auf dem Bett. Und dann durchzogen dunklere Bilder die schönen Erinnerungen. Düstere Bilder. Die selbe Frau, wie sie in einem gewaltigen Bett lag, bleich und ausgezerrt, kraftlose die Hand hebend, als ein Knabe von vielleicht zehn Jahren nach ihr griff, ein schwaches, aber ehrliches Lächeln. Ein dunkler Raum, ein Stuhl, an den der Junge gefesselt war. Sie sah, wie seine Hand zerstört wurde, mit kalter, emotionsloser Präzision, wie zwei der Finger abgeschnitten wurden, die noch vor wenigen Sekunden, wenn so etwas wie Zeit an diesem Ort überhaupt existierte, die Klaviertasten mit solcher Anmut angeschlagen hatten. Es erschreckte Hope nicht, nicht der Anblick. Sie hatte in ihren Visionen schon weit schlimmeres gesehen, Kriege und Massaker, Gräultaten und Unmenschen. Aber noch nie hatte sie dabei so eine Welle von Schmerz und Angst überschüttet. Und immer wieder sah sie das leere Zimmer, sah den Jungen vor sich, der sie kaum anzublicken schien. Hope wusste, dass sie gerade Domenics Leben betrachtete, auch wenn die Bildfetzen seltener wurden. Als hätten sie sich danach verloren. Als hätte Domenic sich danach verloren. Ihre Augen, in denen sich das Universium widerspiegelte, waren geweitet, als sie Domenic anblickte. Den Jungen, der sich einer diffusen Lichtquelle entgegen streckte. Und das erste Mal, seit sie Domenic kennen gelernt hatte, war Hope sich während einer Vision unsicher. Wo war sie? War sie am Ende zu weit zurückgegangen. Hatte sie Domenic nicht nur genutzt, um ihre Zeit und ihre Wahrheit wiederzufinden, sondern war am Ende nicht zu ihrem Körper sondern zu seinem zurückgekehrt? Oder war das hier einfach ein Element ihrer Visionen, dass sie bisher noch nicht erforscht hatte, dem sie noch nicht begegnet war? Konnten sich Visionen so verändern? Hope wusste zu wenig .. vermutlich wusste niemand wirklich etwas darüber. Prophetinnen wie sie waren sehr sehr selten, erforscht waren sie nie worden. Und vermutlich war es auch nahezu unmöglich, weil keine zwei Gaben gleich ausgeformt waren. Zumindest hatte sie das bisher feststellen können.
Hopes Körper zitterte, in der Vision und in der Realität, während sie einen Augenblick die Augen zusammenkniff. Sie wollte diese Bilder nicht mehr sehen. Sie wusste, dass sie wahr waren. Sie hatte schon schlimmeres gesehen, aber niemals war es um einen Menschen gegangen, den sie kannte. Und sie kannte keinen Menschen besser als Domenic. Dann öffnete sie wieder ihre völlig schwarzen Augen, die jedoch nicht finster in ihrer Lichtgestalt wirkten. "Domenic.." Ihre Stimme war mehr ein Flüstern als eine wirkliche stimme. "Komm zurück. Komm zu mir." Denn sie sah, wie er immer durchsichtiger worden, auch wenn seine Züge nicht mehr so euphorisch und überschwänglich aussahen wie noch vor wenigen Sekunden. Seine Mimik hatte sich mit den Bildern verändert und Hope war sich ziemlich sicher, dass er durchlebte, was sie gerade gesehen hatte. Sie wusste nicht in welchen Teil seines Geistes sie eingedrungen waren, aber sie war sich gewiss, dass er lange nicht mehr betreten worden war. Immer noch saß sie auf dem Boden des einrichtungslosen Raums. Die Leere hätte vielleicht erschreckend sein können, aber nach dem überdeutlichen Bildern, die vor ihren Augen aufgeblitzt waren, war sie eher beruhigend, vermittelte sie ihr eher das Gefühl, dass sie hier keine Sorgen zu haben brauchte. Solange Domenic nicht verschwand. Solange er bei ihr blieb. Denn das hier war sein Reich. Hier hatte sie keine Kraft. Sie hatte ihm das Universum zeigen können, Zukunft und Vergangenheit, was ist, was war, was hätte sein können. Aber hier war er der Führer. Und Hope streckte ihre schmale Kinderhand nach dem Jungen aus, der kaum älter erschien, als sie es in der Realität war. Sie wollte seine Hand ergreifen. Ihn festhalten. Er durfte nicht gehen.
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Die Zeit war ein endloser Kreis. Ohne Anfang, ohne Ende. Lief und lief und lief, vorwärts und rückwärts und manchmal garnicht und dann doppelt so schnell und dreifach so schnell, spaltete sich in tausende einzelne Fäden auf, die nebeneinander wanderten, sich in einander verzweigten und verknoteten, verwirbelten und sich umeinander schlangen, wieder zu einem wurden, wieder zu zwei. Zu drei. Zu vier. Endlos. Dutzende, Hunderte, Tausende und doch nur eine. Die Zeit rannte und rannte und blieb doch am Ort stehen, an diesem einen Fleck, der alle Ströme, alle Knoten, alle Fäden einte und in sich verband.
Domenic wurde vom endlosen Strom tausender Bilder und Formen hindurch gezogen und mit gerissen. Und heute, hier und jetzt, an Weihnachten - kurz danach - erstarrten Domenics Glieder, wurden seine Muskeln zu Steinen und nur flache, keuchende Atemzüge brannten in seinen Lungen nach, als Domenics Geist herausgerissen wurde, in den Wirbel und Sturm aus chaotischer, ineinander verschlungener Zeit gerissen wurde und Jahre - so viel Jahre - vor jener Zeit, ein kleiner Junge inmitten des Spiels im sommerlichen Garten des weitläufigen Hauses in Italien, einfach zusammenbrach und zuckend und bebend am ganzen Körper auf dem weichen Rasen aufkam, sich den Kopf aufschlug und die Augen in ihre Höhlen zurück drehte, während sein ganzer Körper von unkontrollierten, unmenschlichen Bewegungen gebeutelt wurde. Domenic sah, was er damals gesehen hatte, was er heute sah, was Hope durch die Zeit hindurch sah. Als wäre es Hopes zutun, dass der kleine Junge, der soviele Jahre später ein so intensive Band mit ihr knüpfen sollte, eines, das selbst Zeit und Raum überwand, die erste Vision seines Lebens durchlitt; Tod und Leid und Schmerz durchlebte noch ehe es wenige Tage später tatsächlich eintreten sollte. Vielleicht hätte Domenic damals nie den ersten Anfall gehabt, wenn er nicht Jahre später dieses Band mit Hope geschlossen hätte. Als könnte Hope durch ihn hindurchgreifen, in seine Vergangenheit greifen, sein soviel jüngeres ich in eine Vision hineinziehen, die für ihn selbst und seine Fähigkeiten völlig unmöglich gewesen sein sollte.
Formen und Schatten, Fetzen und dröhnende, rauschende Geräusche rollten um Domenic herum, tobten und wüteten in unaufhörlichem Sturm. Kalter Schweiß trat auf Domenics Haut und zog sich in einem dünnen, stinkenden Film über seinen heiß glühenden Körper, als sein Atem flacher wurde und flacher wurde und kaum mehr hörbar gerade noch so ein paar Sauerstoffmoleküle in seine Lungen transportierte, während Domenic eingerollt und völlig steif in den zerwühlten Laken des großen Betts lag und ein dünne Fäden aus Blut aus seiner Nase und seinen Ohren rollten. Kaum sichtbar in dem trüben Nachtlicht im Raum.
Schwarzes kaltes Nichts drängte alle Formen und Farben und Geräusche hinweg. Nur das winzige leise Winseln eines kleinen Kindes blieb. Sein Weinen. Und die dumpfe, weit, weit, weit entfernte Stimme, die so fremd war und doch nicht; so vertraut wie fremd und näher kam, langsam... langsam näher kam. Oder vielleicht holte er sie vielmehr näher zu sich. Vielleicht kam sie nur, weil er zuließ, dass sie kommen konnte. Die Schwärze kroch in jeden letzte WInkel, konsumierte alles um sich herum. Und er wusste nicht, ob er die Augen aufgerissen oder fest verschlossen hatte. Domenics Ohren zuckten leicht und Blut trocknete in seiner Ohrmuschel. Und der kleine Junge schluchzte leise und schniefte und zog die Nase hoch. Und irgendwo, irgendwo aus keiner Richtung und mit keinen Stimmen und doch laut genug und durchdringend, der Singsang, das Summen, das lauter wurde, anschwoll...Und Hoffnung ist, was bleibt.. Ob er die Augen nun weit aufgerissen hatte, oder fest verschlossen. Schwarz war es. Schwärzer als die Nacht. Undurchdringbar und allgegenwärtig und Leere breitete sich aus, schob den Kanon aus den tausend und keinen Stimmen weiter fort, drängte den Lärm, die durchdringenden Worte weiter und weiter zurück. Ebenso wie den anderen Geist und der kleine Junge rollte sich ein. Zog die Knie fest an den Körper, umschloss die Beine fest mit seinen Armen und zog den Kopf ein, als die wenigen Worte in langer Vergessenheit versanken...
Nur um Jahre später und im gleichen Augenblick wieder empor zu stoßen aus endlosen, schwarzen Tiefen, in die sie just in dem Moment abgesunken waren und in denen sie Jahrelang stumm geschlummert hatten. Ein abrupter Ruck ging durch Domenics Körper, als er sich aus der eingerollten Haltung heraus löste und den Rücken durchbog. Seine Fersen stemmten sich in die weiche Matratze und sein Kopf drehte sich verspannt zur Seite. Domenics Augenlider flatterten auf, als er röchelnd nach Luft schnappte und und seine Augen in ihre Höhlen zurückgerollt waren, sodass man fast nur das Weiß mehr sehen konnte. Weiß durchzogen von etlichen geplatzten roten Äderchen.
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Und Domenic kam. Alle Domenics kamen. Hope streckte ihre Hand aus und es legten sich die Finger des Knaben hinein, der eben noch im Garten des weitläufigen Hauses der Corleones zusammengebrochen war. Kein Blut tropfte aus seiner Nase, seine Augen blickten sie klar an, heller und strahlender als sie es in der wirklichen Welt jemals gewesen waren. Hope spürte, wie sich die schmalen Finger um ihre Hand schlossen, wie sie die Hand festhielt, die kaum größer als ihre eigene war. Sie blickte in das Gesicht des Knaben und blickte dabei in ihr eigenes. Vielleicht war sie es, die ihn erst in diese Vision gezogen hatte, vielleicht war dies einer der wenigen Fixpunkte gewesen, dass sie sich hatten begegnen müssen, damit Domenic seine Gabe überhaupt erst erwerben konnte. Vielleicht hatte er sie auch einfach gerufen, aus der Zukunft, seiner Zukunft, in die Vergangenheit, seine Gegenwart, um ihn auf diesem Weg zu begleiten, zu leiten. Vielleicht drehte sich diese gesamte Geschichte gar nicht um Hope Hampton, die größte Prophetin seit dem Orakel von Delphi, deren drittes Auge früher erwacht war, als es jemals zuvor wahrgenommen worden war. Vielleicht war dies die Geschichte von Domenic Corleone und sie nahm nur eine kleine Rolle darin ein. Vielleicht auch eine Rolle von großer Wichtigkeit. Wer wusste das schon. Wer konnte wirklich von sich behaupten die Fäden des Schicksals soweit entwinden zu können, dass er es wirklich verstand? Vielleicht war es auch alles nur ein gewaltiger Zufall, vielleicht gab es keinen Sinn in dem, was geschah, war alles Chaos, ziellos, pure Bewegung, pure Entwicklung. Wer wusste schon, ob die Zeit ein Ende hatte. Denn hatte sie keins, konnte es auch kein Ziel geben, kein Schicksa. Dann wäre alles belanglos und doch voller Sinn, Ding an sich selbst, ohne ein höheres Konstrukt, ein großes Ganzes, aber dafür umso wertvoller in seiner Eigenheit.
Und der junge Mann legte seine Hand in ihre, griff mit festen Griff nach den Fingern und blickte doch zu ihr auf, mit Augen, in denen sich ein Erkennen spiegelte, dass es nicht hätte geben dürfen. Wieder zog sie ihn in die Vision, an diesen Ort, an dem Zeit keine Rolle spielte, an dem es belanglos war, dass sie sich erst Monate danach zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht begegnen sollten. Sie erkannte Domenic. Ihre Zukunft war seine Vergangenheit. Und er zog sie in seine Realität. Sie blickte durch sein drittes Auge, sah den ersten Kampf des neuen Krieges, eine Szene, die sie oft genug betrachtet, aber niemals einordnen hatte können. Aber durch Domenics Augen ergab so vieles Sinn, was sie vorher nicht einmal erahnt hatte. Weder war sie es, die ihn leitete, noch war er es, der sie immer wieder in ihre Realität zurückholte. Aber sie waren vereint. Sie mussten vereint sein. Ihr Band war nicht zu trennen, nicht durch Meilen zwischen ihnen oder durch ein Verleugnen der Gabe.
Und der Domenic, den sie kennen gelernt hatte, legte seine Hand in ihre. Der abgekämpfte Domenic, der nicht mehr so strahlend war wie sein selbst von vor wenigen Monaten. Sie war seine Gegenwart, seine Vergangenheit, seine Zukunft. Noch ein Dutzend weiterer Domenics legten ihre Hände in die ihre. Sie sah sie alle, wo sie verschwimmen sollten blieben sie doch klar getrennt. Und sie alle waren Domenic.
Hope spürte seinen Schmerz. Sie spürte den Schmerz des Jungen, der nicht wusste, was mit ihm passierte, und des Greises, dessen Vision ihn an die grenzen seines geschwächten Körpers brachten. Und sie spürte den Schmerz des Domenics, der zur gleichen Zeit wie das kleine Mädchen in seinem Bett von Krämpfen geschüttelt wurde, dessen Körper wie zum zerreißen gespannt war. Und auch wenn niemand es je bemerken würde, so war seine Haltung doch identisch mit der des kleinen Mädchens, die gerade im Hauptquartier des Ordens ihren Anfall durchlebte, während neben ihr eine blonde Frau mit einem weißen Kaninchen stand. Sie waren eins und sie waren es nicht. Sie waren, wozu sie immer bestimmt gewesen waren. Sie waren verbunden. Verbunden auf eine Art, wie kein Mensch sie je erfahren hatte, wie es sie vielleicht nur ein einziges Mal in der gesamten Geschichte geben würde. Und während sich ihre Finger um Domenics Hand schlossen, um die Hände aller Domenics, umfing sie die Schwärze, in der er gerade gefangen war. Alles rückte fern, so unsagbar fern. Das Universum, dass sie kommen und vergehen sah, war fort. Nur noch Domenics Hand war da. Die Berührung. Die Verbindung. Dass, was sie waren. Sie beide. Sie eins.
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