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By the way, my brother is dead
Ihre Bewegungen waren wie ferngesteuert gewesen.
Sie hatte ihren Mantel gepackt, die Mütze und ihre Tasche, ehe sie aus dem Haus hinaus, bis zum Rande des Weges gegangen war, um von der Dunkelheit verschluckt zu werden. Priscilla hatte gewusst, was sie wollte. Sie wusste nicht, was sie brauchte – doch sie war sich sicher gewesen, dass eine weitere Minute in dem stillen Haus sie um ihren Verstand gebracht hätte. Denn noch fehlte die Wut. Es fehlte alles an Gefühl in ihrem Inneren, mit Ausnahme der einen Nacht, welche sie mit Pixie erlebt hatte. Doch auch danach war die Moreau in ihr zerstückeltes Leben zurückgekehrt und hatte es weiterhin so gut wie möglich zusammen gehalten – durch Routine. Durch alles, was sie vorher immer getan hatte, wie sinnlos es ihr auch erscheinen mochte, hielt sie beharrlich daran fest. Kein Wort drang zu ihr durch und mittlerweile hatten ihre Mitarbeiter es dran gegeben, zu ihr durchdringen zu wollen. Die Tage gingen und die Nächte kamen, scheinbar alles schien ungerührt an der Moreau vorbei zu ziehen. Sie nahm nicht mehr daran teil, war kein aktiver Part mehr; und doch aktiver als es ihr Bruder je wieder sein würde. Doch ausgesprochen hatte Priscilla seinen Tod bisher noch nicht. Sie hatte es niemanden gegenüber gesagt, wie eine wohlgeschätzte Kostbarkeit, welche sie in ihrem Inneren verschloss. Eine Kostbarkeit, die ihr Herz mit jedem seiner Schläge mehr zerfraß und zerstörte, doch; was war davon schon noch übrig geblieben? Priscilla hatte für Peregrine gekämpft und sie hatte sich für ihn eingesetzt – sich für ihn aufgegeben, nur um ihn am Ende ganz zu verlieren. Dass es selbst ihre schlimmste Vorstellung überschritt, war ihr kaum bewusst. Dass die Erschütterung noch immer anhielt, Wochen nach seinem Freitod, Priscilla ließ niemanden nah genug an sich heran, als dass es ihr jemand ins Gesicht hätte sagen können. Denn es gab keinen Menschen mehr, der nun noch eine Bedeutung besaß. Sie hatte zuvor schon etliche Kontakte verloren und nun war die Moreau endgültig alleine. Sie tat, was getan werden musste, ohne zu bemerken wie sehr ihr Herz dabei kaputt ging.
Doch: wann immer es etwas mehr brach, was sie zu dem Cellisten gegangen.
Wie dieses Mal. Priscilla wollte vergessen. Sie wollte sich nicht erinnern müssen – sie kam in einer ungebändigten Verzweiflung und in einem ebenso intensivem Verlangen zu Phobos, dass dieser kaum eine Minute Zeit gehabt hatte, auf ihr Erscheinen reagieren zu können. Ungeachtet was er sich wünschte oder was er wollte, hatte sich Priscilla genommen, was sie brauchte. Von dem sie gehofft hatte, dass es etwas besser machen würde, denn: war es nicht immer so gewesen? Sie hatte mit Phobos geschlafen, wenn ihre Welt dunkel geworden war. Er war zu ihrem Licht geworden, welches sie freiwillig immer und immer wieder aufgesucht hatte, um sich selbst zu retten. Phobos war Priscilla’s Selbstrettung gewesen. Nur gab es dieses Mal nichts mehr, was gerettet werden konnte. Vielleicht war es auch bloß der Abschied von einem Leben, welches sie gehabt hatte und welches sie nie wieder haben würde; der Abschied von Phobos, denn Priscilla brauchte ihn nicht mehr. Es würde keine Eskapaden mehr mit Peregrine geben. Keine Stürme, die ihr Leben zerrissen, wegen ihrem Bruder. Sie hatten ihr Bindeglied verloren und Priscilla dazu noch ihren Lebensinhalt der letzten Monate.
Als sie schwer atmend auf der Brust von Phobos lag, glitt ihr Blick ins Nichts. So viele Male war die Französin hier her gekommen, um bei dem Mann, dessen Herzschlag dumpf in ihren Ohren wummerte, Trost zu finden. Seine Arme waren ihre Flucht gewesen und seine Liebe alles, was Priscilla besessen hatte. Immer schon hatte sie sich darauf verlassen, ohne je zu wissen, wie innig Phobos sie liebte. Wie sehr er von ihr abhängig war.
Erst als sich ihre Lippen schlossen, merkte sie, dass sie gesprochen hatte. Zu schwer wog der Sog ihrer Vergangenheit; wie sie zuletzt an Weihnachten mit dem Mann zusammen gewesen war, weil Peregrine sie im Stich gelassen hatte. Wie er ihr vorsichtig sein Geschenk gegeben hatte. Sie erinnerte sich an die Nacht nach seiner Aufführung, wo sie im Park für ihn gesungen hatte – einmal mehr, weil es ihr nicht gelungen war, ihren Bruder aus dem Bett zu bekommen. Weil ihr Versagen so stark gewesen war, dass sie etwas Positives gebraucht hatte. Im Grunde war Phobos immer nur der mentale Schutzmechanismus für Priscilla gewesen, in welchen sie sich flüchtete, um nicht kaputt zu gehen. Sonst hätte sie womöglich viel eher bereits aufgegeben und nicht bis zum Ende gehofft.
Bis zum Ende. Tod. Ihr Bruder war tot.
Sie rutschte etwas von seiner Brust und setzte sich auf.
Mit dumpfen Blick sah sie in das entsetzte Gesicht und nickte. Wie sooft. Jeder war überrascht, jeder bestürzt. Und doch wusste niemand, was Priscilla verloren hatte. Alles. „Oui“, erwiderte sie, als würde sie grade bestätigen, dass es tatsächlich Nacht draußen war und nicht grade erst Mittag.
Doch veränderte sich jener teilnahmslose Ausdruck in dem Moment, wo sie das Mitleid in seinem Gesicht sah. Priscilla entzog ihm ihre Hand und presste die Lippen aufeinander.
„Isch wollte Sex mit Dir – kein sentimentales Gespräc‘“, entwich es ihr scharf, während sie die Decke bereits zur Seite schlug und aufstand, um ihre Klamotten zu sammeln.
„Passiert. Mensc’en leben, Mensc’en sterben, nischt?“
Ihre Taten waren stets eindeutig gewesen. Ihre Welt war zusammen gebrochen und sie war bei ihm aufgetaucht, sei es in einer Vorstellung gewesen oder Zuhause, manchmal verabredete sie sich einfach irgendwo. Es hatte schon genug Gelegenheiten gegeben in denen sie bei ihm gestanden hatte und er hatte sich darauf eingelassen. Er hatte gewusst was sie fühlte und trotzdem hatte er sich eingeredet, dass sie irgendwann ihre Gefühle zu ihm erkennen würde. Irgendwann. Stets hatte er sich neue Hoffnungen gemacht, dass sie ihm das nächste Mal ihre Liebe gestehen würde. Aber nie war es geschehen. Doch auch wenn sie beide wussten, was sie taten, so hatten sie es nie ausgesprochen. In der Stille war sie gegangen, bis sie sich das nächste Mal wieder gesehen hatten. Es war das erste Mal, dass Priscilla es laut aussprach und ihm vor den Kopf knallte, fast schon als Vorwurf. Man konnte ihm fast dabei zusehen, wie in seinem Inneren etwas zerbrach. Sein Gesicht wurde ernst, fast schon angespannt, als sie ihm ihre Hand entzog und schließlich die scharfen Worte sprach. Sie sprach das aus, was er wusste aber nie wahr haben wollte. Ohne es auszusprechen war es immer anders gewesen. Er hatte es sich zurecht legen können, doch jetzt wurde es Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit, die plötzlich sämtliche unterdrückte Zweifel nach oben brachten und ebenso zur Wirklichkeit machten.
Völlig regungslos saß er im Bett und beobachtete sie dabei, wie sie nach und nach ihre Klamotten zusammen suchte. Das war es also? Ihr Bruder war tot und sie brauchte noch mal Sex um darüber hinweg zu kommen? Mit einem Mal kam sich der blonde Zauberer unendlich dumm vor. Warum hatte er das so lange überhaupt mitgemacht? Seine Gedanken wurden immer wirrer und er wusste immer weniger was er tun sollte. Die Zweifel überwogen und somit auch seine Verzweiflung. Als hätte er ein Signal bekommen, regte er sich plötzlich stand ebenfalls vom Bett auf.
”Das war es also? Ja?”, fragte er sie. Die Wut in seinem Gesicht war kaum zu übersehen, gepaart mit der ganzen Verzweiflung. ”Menschen sterben. Das passiert. Wirklich? Genauso wie wir passiert sind? Dass ich all die Jahre für dich da war und jetzt schaffst du es nicht mal es dir einzugestehen, wie sehr es dich mit nimmt? Du bist für den Sex her gekommen, warum hast du dir dann nicht einen anderen Dummen gesucht?” Seine Gebärden waren großräumig und voller Verzweiflung. Schwer atmend stand er vor ihr und wünschte sich seit langem wieder, dass er sie einfach anschreien könnte. Dass er überhaupt schreien könnte. So war es nicht mehr als ein stummer Protest, dem man einfach entgehen konnte, wenn man weg sah. Nicht mehr als ein Lufthauch.
”Wenn du so gut damit klar kommst, warum bist du dann hier? Warum durfte ich dann erneut deine Scherben aufsammeln, nur damit du mich dann wieder links liegen lässt als wäre ich nichts Besseres als Sex auf Abruf. Du kannst dich selbst anlügen, aber nicht mich.” Angespannt presste er die Lippen aufeinander. So lange hatte er Angst gehabt sie zu verlieren und jetzt in diesem Moment schien es egal zu sein. Ganz so als hätte er sie bereits verloren, denn so fühlte es sich im Moment an. ”All die Zeit war ich für dich da…und du? Wann warst du es? Bist du so blind, dass es dir einfach egal war, was ich dabei fühle?”
Vielleicht hätte sie viel eher schon ehrlich sein müssen.
Hätte früher bereits die Frage stellen sollen, was zwischen ihnen war – und was es nicht war. Doch die Französin war zu erschöpft gewesen. Sie hatte schlicht weg keinen weiteren Verlust und keinen erneuten Rückschlag ertragen können, grade von Phobos nicht. Von dem stummen Zeugen ihres Kampfes, dem stillen Geist, welcher über ihr Leben wachte und der ihr zum engsten Vertrauten geworden war. Es hatte niemand anderen gegeben, der mehr von ihrer geschundenen Seele gesehen und mehr von ihrer verletzten Seite miterlebt hatte, wie dieser Mann, zu dem sie heute Nacht gekommen war. Bei ihm hatte sie immer Zuflucht gesucht und Geborgenheit gefunden – für Priscilla war das alles gewesen, was sie brauchte. Alles, was sie sich selbst erlaubte, denn es hatte keinen Platz für tiefere Gefühle gegeben. Viel zu sehr aufgezehrt von dem Kampf um ihren Bruder war jeder andere Mensch doch ein Stück hinter ihm zurück geblieben. An erster Stelle war immer Peregrine gekommen. Er, in allem, was er brauchte und in allem was sie hatte tun können. Dass Priscilla darüber hinaus so vieles nicht erkannt hatte – dass sie so viel an sich genommen hatte, ohne je etwas zurück zu geben, war ihr nicht im Geringsten bewusst.
Dass sie auch heute Nacht gekommen war, um etwas mitzunehmen und nichts wieder zu geben. Nie war es ihre Absicht gewesen. Schließlich hatte sie sich von dem Cellisten fern gehalten, als das Ministerium sein Blick auf sie gerichtet hatte – auch hatte Priscilla ihn retten wollen .. in Gedanken, während ihr eigener Fluchtinstinkt bei dem Angriff auf das Ministerium stärker gewesen war. Am Ende blieb sie ein egoistischer Mensch, der an sich hatte denken müssen – denn sonst tat es niemand mehr. Ihr Bruder wenigstens hatte lange schon aufgehört, sich um seine kleine Schwester zu sorgen oder sich für sie einsetzen zu können.
Sie bemerkte seine Reglosigkeit am Rande.
Während Priscilla grade ihr Shirt wieder überzog, wandte sie sich ihm einen Moment zu. Einen Augenblick lang musterte sie den Mann, welchem sie eben näher gewesen war wie jedem anderen .. und dem sie sich doch ferner fühlte. Weiter entfernt als je zuvor, während Priscilla ihn bloß ansah und schließlich ihr Shirt über ihren Kopf zog. Ihr Leben war endgültig gebrochen worden. Es fehlte ihr jede Kraft, an ein Morgen zu denken – an das nächste Aufwachen, welches unweigerlich kommen würde und so lange wie Priscilla in diesem Zustand festhing, sie würde nicht mehr zu ihm kommen können. Denn Phobos erinnerte sie unweigerlich an so viele unzählige Male, in denen sie bei ihm Zuflucht gefunden hatte, wo ihr Bruder es ihr schwer gemacht hatte. So viele Male in der Vergangenheit, die es nie wieder geben würde. Jene Erschütterung war zu heftig, um sich dieser freiwillig auszusetzen. Umso mehr wollte Priscilla in der Routine versinken, weitermachen wie bisher – so tun, als wäre nie etwas geschehen. Dass sie Phobos gesagt hatte, was passiert war .. es war ein Test gewesen, wie es künftig sein würde, doch noch nicht ganz wahr. Er zählte nicht. Er hatte nie gezählt, sondern war immer in einer ganz anderen Rechnung gewesen.
Einen Moment lang sah sie ihn überrascht an, als er aufstand und als seine Hände sich bewegten. Es fiel ihr schwer, seinen Worten zu folgen, wurden sie durch seine Wut verzerrt. „Oui“, bestätigte sie erneut mit dumpfer Stimme. Jäh schwand jede Überraschung, als ihre Züge wieder hart wurden. Steinern. Eine Maske, deren durchdringen noch schwerer war wie all die Zeit davor.
Denn dieses Mal brannte keine Hoffnung mehr dahinter. Es gab keinen Funken mehr, welcher zu einem Feuer werden konnte. Es gab nur noch die bittere und endgültige Tatsache des kalten Todes, welche sie beherrschte.
„So wie wir gewesen sind.
Wieso ‘ätte isch jemand anderen suc‘en sollen, wenn isch weiß, wo Du bist?“ So sehr wie Phobos schreien wollte und es nicht konnte, so kälter wurde ihre Stimme ohne jede Wärme. Als wäre das alles egal; und das Schlimmste war, dass es Priscilla im Moment tatsächlich egal war. Sie konnte keine Gefühle zulassen, keinen winzigen Riss erlauben. Denn dann würde alles brechen, jeder Wall und jede Mauer in sich zusammenfallen, wenn erst einmal der erste Tropfen fließen konnte.
Dennoch. Einen Augenblick hielt sie in der Bewegung inne, nach ihrer Hose zu greifen, als sie seine Worte sah und kaum merklich rann ein Schaudern über ihren Rücken. Brach eine Kälte in ihrem Inneren aus, welche sie bisher verdrängt hatte. Sie stieß die Luft aus und wandte ihm einen Moment den Rücken zu, die Arme vor der Brust verschränkt, als ließe sich so das Loch zusammenhalten, welches jede seiner Bewegung in sie hinein riss. Priscilla hatte für Peregrine a l l e s gegeben, dass es ihr nicht egal sein konnte, dass er tot war. Fort. Dass er sie verlassen hatte, ohne einen Gedanken an sie zu verschwenden.
„Du ‘ast meine Sc’erben ‘eute nic’t aufgesammelt.“ Denn dafür hätte sie mit ihm reden müssen. Er war nur eine Ablenkung gewesen. „Mein Bruder ist gestorben und Du redest über Deine Gefü’le?“ Langsam wandte sie sich ihm wieder zu und es war Wut, die in ihren Augen funkelte. Wut ob dieser surrealen Situation, dass Phobos grade jetzt mit dem Unvermeidlichen gekommen war. Sie warf die Hände in die Luft und fuhr sich durch die Haare. „Non .. P’obos. Du bist mir nischt .. egal“, erwiderte sie dennoch leise. Wankend zwischen Wut und Verzweiflung. Und Angst; jener Angst, wieder etwas zu verlieren, was wichtig in ihrem Leben war.
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So viele Male hatte er sich vorgenommen etwas zu sagen und doch war es ihm nie gelungen. So viele Worte hatte er sich zurecht gelegt, doch nie eins davon gesagt. Fast schon als hätte sie es unterbewusst geahnt, wenn er kurz davor war, alles raus zu lassen, war sie besonders schnell verschwunden. Vielleicht aber auch einfach nur, da sie die andere Stimmung zwischen ihnen gespürt hatte. Was auch immer es gewesen war, es hatte ihn davon abgehalten, ihr die Wahrheit zu sagen, über seine Gefühle zu sprechen. Und nun, nun war es eben so weit. Zur falschen Zeit und doch genau richtig. All seine Worte waren schneller aus ihm heraus gekommen, als er es wollte und ein guter Teil davon wahrscheinlich gar nicht für sie verständlich, doch sie schien trotzdem die Kernaussagen verstanden zu haben. Das war es was zählte. Für einen kurzen Moment bereute er, nicht einfach sitzen geblieben zu sein. Einfach nicht reagiert zu haben, doch wie hätte er sollen? Wie hätte er es ignorieren können, dass ihre ganze Welt eingestürzt war? Er sah, wie ihre Züge wieder hart wurden, wie sie sich distanzierte und sich nicht erlaubte, Gefühle zu zu lassen. Ob sie überhaupt welche für ihn hatte wusste er längst nicht mehr. Er war sich nicht sicher, was sie überhaupt von ihm dachte. Offenbar nicht mehr, wie dass sie wusste wo er war und er deshalb eine gute Gelegenheit zur Ablenkung war. Das war es, was sie ihm zumindest bestätigte. Vermutlich war es sogar besser, dass er nicht wusste, dass er nur ein Test war, dass er in ihrem normalen Leben nicht mal als normaler Mensch zählte, dass er völlig außen vor war.
Jedes ihrer Worte waren weitere Stiche in sein Herz. Als würde sie mit dem Dolch vor ihm stehen und ihn jedes Mal erneut in seine Brust rammen, voller Wut und Überzeugung, ganz egal ob er dabei kaputt gehen würde. Ja, sie wusste wo er war und wusste, dass er jederzeit alles stehen und liegen lassen würde für sie. Er wollte etwas tun, als sie sich von ihm weg drehte, doch er tat nichts außer weiter stehen zu bleiben und sie anzustarren, als würde sie das dazu bewegen, sich wieder zu ihm umzudrehen. Mit einem Mal wollte er ihr nicht mehr nahe sein. Ganz so als würde er mit einem Mal das wirkliche Innere sehen.
Er atmete tief ein und aus. Jetzt, wo es um seine Gefühle ging, war ihr der Tod ihres Bruders plötzlich wieder wichtig? Jetzt war es wieder ein Tabu über etwas anderes zu reden? Sie legte sich ihre Welt zurecht, wie sie es gerade brauchen konnte, was ihn nur noch wütender werden ließ. So sehr, dass er ihr den darauffolgenden Satz nicht mal mehr glaubte. Er war ihr nicht egal? Sicher, sie brauchte ihn ja für Sex, der sie ablenkte. Jemanden, der alles mit machte und den sie immer zur Verfügung hatte. Deswegen war er ihr nicht egal, aber wegen etwas anderem nicht. Ihre Stimme war leise und versöhnlich und doch war ihr Gesichtsausdruck voller Wut und Verzweiflung. Zwei Gefühle in denen sie beide versanken.
”Wirklich? Ich denke du musst dir jemand anderen suchen, der dich ablenkt aber nicht mit dir spricht. Richtig, dann wenn es um Gefühle geht, ist der Tod deines Bruders wieder schlimm genug. Ja? Weißt du was Priscilla? Geh einfach und lass mich in Ruhe. Ich stehe nicht mehr zur Verfügung für Sex ohne sentimentale Gespräche.” Die letzten zwei Worte waren an Ironie kaum zu übertreffen. Davon abgesehen, ging er wieder dazu über, ihren Namen zu buchstabieren, anstatt ihre Namensgebärde dafür zu verwenden. Er wollte ihr nicht mehr so viel Vertrautheit, so viel Bedeutung zumessen. Es fiel ihm schwer, so mit ihr zu reden, sie von sich zu stoßen und doch war ihre Anwesenheit und die Gewissheit, was sie von ihm dachte nur noch schmerzhafter.
Phobos wandte den Blick von ihr ab und lief ein paar Schritte, zurück zu seinem Bett. Erschöpft setzte er sich an die Bettkante und starrte auf den Boden. Er wusste was er ihr an tat, doch er konnte nicht mehr. So lange hatte er es ausgehalten und jetzt war die Grenze erreicht. Es war zu spät um es rückgängig zu machen, zu spät für alles. Nichts hatte sich an seinen Gefühlen zu ihr geändert, doch sie waren umso schmerzhafter und schwerer auszuhalten.
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Sie war geflohen.
Wann immer sie diesen Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen hatte – dann, wenn sie einige Minuten im Schweigen dalagen und ihre Gedanken an ihr zerbrochenes Leben zurückwanderten, besuchte Phobos einen ganz anderen Ort in seiner Gedankenwelt und obwohl Priscilla bisher nie ein Wort von dieser erfahren hatte – sie wusste instinktiv, dass sie es auch nicht wollte. Sie wollte nicht wissen, an was er dann dachte. Oder doch; wissen vielleicht, nur wiederum nicht erfahren. Mit der Option, vergessen zu dürfen, wenn ihr dieses Wissen nicht gefiel. Doch diese gab es zwischen ihnen nicht und so hatte Priscilla immer vorher die Flucht ergriffen, bevor Phobos‘ Mut groß genug gewesen war, einmal anzusetzen und mit seinen Worten zu beginnen. Schließlich war die Moreau überzeugt gewesen, dass sie genug Probleme hatte – sie war sich sicher gewesen, dass sie nicht mehr an Last tragen konnte und hatte einmal an sich gedacht. Für ihren Bruder war sie zur selbstlosesten Person der Welt geworden, doch forderte diese Aufgabe ihren Tribut bei anderen. Es war niemand mehr außer dem Cellisten geblieben, bei dem sie sich selbst hätte finden können. Nicht, dass ihr nicht mittlerweile Zweifel kamen: war es Selbstaufgabe gewesen, welche sie Peregrine hatte umsorgen lassen? Nicht eher der egoistische Gedanke dahinter, dass ihr Leben ohne ihn einsam sein würde – dass er ihr Bruder war, den sie liebte. Ihr älterer Bruder. Der sie nicht alleine lassen durfte. Umso ungeheuerlicher, dass er es getan hatte. Priscilla fror – sie zitterte in ihrem Inneren, wenn ihr das Ausmaß bewusst wurde. Wenn es über sie kam wie ein Schlag und sie erbeben ließ.
Priscilla hätte Phobos Worte zu keiner Zeit tragen können und grade jetzt konnte sie es noch weniger. Sie hatte doch ihr Bestes gegeben. Nur für jemand anderen.
Dass sie Phobos grade zerfleischte .. etwas von Priscilla war sich dessen bewusst. Und doch wollte sie es. Irgendwie eben. Grade. Sie konnte nicht anders – denn der Zorn war dort, ob sie ihn nun akzeptierte oder nicht, lenkte er jede ihrer Bewegungen, filterte er jedes ihrer Worte und ließ sie sein, wer sie war. Priscilla fühlte sich verraten von einem Toten und sie hasste ihren eigenen Bruder für das, was er ihr angetan hatte. Für diesen unermesslichen Schmerz, der unter dieser dumpfen Taubheit auf sie wartete und von dem sie wusste, dass er nicht verschwinden würde. Hatte sie nicht bereits genug Schmerzen und Leid für Peregrine auf sich genommen? Schließlich war ihr gesamtes Leben für ihn aufgegeben worden. Priscilla hatte ihre Träume für ihn geopfert – und nun; nun war er trotz allem fort. Er war tot. Am Liebsten hätte die Moreau schreien wollen, sie wollte wüten und etwas zerstören; aber all das – jede Reaktion – hätte seinen Tod nur näher gebracht. Dadurch starb die letzte Hoffnung, wenngleich sie seine Asche bereits verstreut hatte .. es blieb doch die Hoffnung auf irgendetwas. Eine, die Phobos ihr grade stahl. Welche er ihr raubte, indem er sie dazu zwang, etwas zu empfinden. Gefühle konnte man sich nicht aussuchen – entweder sie kamen alle über einen, oder es gab gar keins. Bisher hatte sie sich für Letzteres entschieden. Für grimmige und grenzenlose Wut, für ein brennendes Rachefeuer gegen die Nacht; sie hatte den Kriegspfad gegen das Leben begonnen. Nur um zu erkennen, dass sie dadurch bloß verlor. Noch mehr verlor.
Sollte Phobos sich nicht um sie kümmern? Eher sollte er sie in den Arm nehmen, sollte über ihr Haar streichen und ihr einfach vorlügen, dass alles wieder gut werden würde. Stattdessen beschuldigte er Priscilla; stieß sie nur tiefer hinab – denn was blieb ihr, außer Vorwürfe? Sie hatte nicht aufgepasst, sie war zu wenig für ihren Bruder gewesen, zu unfähig. Priscilla hätte viel früher ihren Eltern schreiben müssen .. irgendwas tun müssen, jemand anderen um Hilfe fragen sollen. Sie war Schuld, denn sie war die Hinterbliebene.
„Merde!“, entwich es ihr verärgert, während ihre Züge sich verfinsterten.
„Es gibt ‘übsc’ere wie Dic‘, P’obos“, stellte sie mit schneidender Stimme fest, während sie ihre Haar über ihre Schulter warf und ihn ansah, als würde ihr Blick gradewegs durch ihn hindurch fahren wollen. Er war nicht hässlich – doch definitiv hatte Priscilla an der Universität bereits anschaulichere junge Männer gesehen und sie hatte sich ihnen nicht verschlossen. Nur .. Phobos – er war derjenige, zu welchem die Französin immer gekommen war. Er war ihr Zufluchtsort gewesen, ihr Fels in der Brandung, welche die letzten Monate hart und unbarmherzig geschlagen hatte. „Als wüsstest Du, wie es ist! Du wusstest es nie – nic’t eine Sekunde lang.“ Schließlich hatte er sich nicht um seinen Bruder kümmern müssen, er hatte sein eigenes Leben haben dürfen – hatte es frei bestimmen können. Dass Phobos sich dazu entschlossen hatte, sein Leben nach ihr auszurichten, war Priscilla nie klar gewesen.
„Fein. Isch brauc’e Disch nic’t. Isch brauc’e niemanden“, stellte sie fest und reckte stur das Kinn vor. Nicht, dass ihr Herz sich bereits jetzt zusammenzog bei dem Gedanken daran, dass das Gestüt vor ihr aufragen und wie immer still da liegen würde .. dabei war nichts mehr, wie es gewesen war. Dass ihr die Luft in den Lungen fehlte, wenn sie leise an dem Zimmer ihres Bruders vorbeischritt und sich erst wieder daran erinnern musste, dass sie sich nie wieder fragen würde, was er grade tat und ob sie hineingehen sollte. Denn er war nicht mehr da.
Mit schnellen Bewegungen sammelte sie ihre letzten Sachen ein. Priscilla hatte ihm den Rücken zugedreht, während sie sich ihre Haare zusammenband und die Tränen in ihren Augen zu unterdrücken suchte.
Es gab tausend Worte in ihrem Kopf, doch jedes zerfiel auf ihrer Zunge. Tausende voll von Wut und Zorn, von unermesslicher Trauer und Bedauern, von Verzeihung und Vergebung.
„Es ge’en ja sowieso alle von selbst, nisc’t?“, murmelte sie zynisch ohne eine Antwort zu erwarten.
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Der Zauberer hatte versucht für sie da zu sein. So gern hätte er sie in den Arm genommen und einfach nur getröstet. Doch sie hatte ihm klar gemacht, dass sie sein Mitleid nicht wollte. Was also sollte er tun? Sich von ihr beschimpfen und deutlich machen lassen, dass er ohnehin nicht wichtig für sie war? Dabei ahnte er nicht mal, wie wichtig er tatsächlich für sie war. Im Moment kam er sich alles andere als wichtig vor. Eher wie eine kleine Randfigur in ihrem Leben, die plötzlich nicht mehr mit ihrer Rolle zufrieden war und wichtiger sein wollte. Je länger er darüber nachdachte und mit ihr darüber stritt, umso dämlicher kam er sich dabei vor. Wahrscheinlich wäre es seine Pflicht gewesen, einfach nichts zu sagen und ihre Launen zu ertragen. Aber genau das war ihm nicht gelungen. Es hatte sich einiges aufgestaut, das sich nun mit einem Mal entlud. Wohl zum schlecht möglichsten Zeitpunkt, doch manchmal war es schwer auf den richtigen Zeitpunkt zu warten. Je länger man wartete umso eher konnte es passieren, dass die Bombe mit einem Mal platzte, so wie in diesem Fall. Priscilla hatte alles für Peregrine getan und er alles für sie. Wer war nun also wirklich der Schuldige? Vielleicht hätte er ihr auch schon eher sagen sollen, dass es nicht gut für sie war, was sie tat. Doch die andere Frage wäre, ob sie ihm zugehört hätte. Vermutlich eher nicht. Sie hätte ihn für herzlos gehalten und ihn gehasst. So hatte er gute Miene zum bösen Spiel gemacht.
Ihre Aussage über sein Aussehen traf ihn mehr, als er zugeben wollte. Getroffen blickte er sie an. Wie gerne hätte er etwas ähnliches darauf erwidert, doch was sollte er sagen? Für ihn entsprach sie absolut seinem Schönheitsideal. Sicher war er sich darüber bewusst, nicht gerade einem Modell zu entsprechen, aber man konnte trotzdem kaum behaupten, dass er mit seinem Aussehen unzufrieden war. Es war gut so, wie es war. Doch trotz alledem war er sich nicht sicher, ob sie es nur aus Wut gesagt hatte oder auch so meinte. Zumindest schien sie ihn verletzen zu wollen. Genauso wie mit ihren nächsten Worten. Er wusste nicht wie es war? Konnte sie sich vorstellen, wie es war, stets bereit zu sein für sie? Immer wieder darauf zu hoffen, um dann erneut enttäuscht zu werden. Immer hatte er seine Bedürfnisse und Gefühle hinten angestellt und alles für sie getan. Aber selbst das schien sie in diesem Moment zu vergessen. Nicht mal das nahm er ihr wirklich übel. Sie stand unter Schock und er tat im Moment nichts, dass sie sich besser fühlen könnte. Nach und nach schien seine Kampflust nachzulassen.
Fast wie gelähmt beobachtete er sie dabei, wie sie die restlichen Klamotten zusammen suchte. So lange sie ihn nicht ansah, konnte er ohnehin nichts sagen. Doch davon abgesehen fühlte er sich auch kaum noch in der Lage dazu. Er fühlte sich matt und müde. Das Pulver war verschossen und die Wut vergangen. Auch wenn er sie zuvor noch am liebsten raus geschmissen hätte, so wurde sein Herz schwer, wenn er nur daran dachte, sie nie wieder sehen zu können. Phobos erhob sich wieder vom Bett und blieb direkt hinter ihr stehen. Als die blonde Hexe sich nochmal zu ihm umdrehte, sah er sie direkt an. ”Ich gehe nicht…nie” So gerne würde er etwas anderes sagen, würde seinen Punkt nochmal unterstreichen, aber er konnte es nicht. Er konnte es nicht durchhalten, sie einfach von sich zu weisen, als wäre sie ihm egal. Sofort fiel er wieder in seine alte Rolle, alles für sie tun zu wollen.
Vorsichtig lief er auf sie zu, überwand die letzte Distanz zwischen ihnen und nahm sie in die Arme. Sanft fuhr er mit seiner Hand durch ihre Haare. Er war sich nicht mal sicher, dass sie es überhaupt zulassen würde, aber etwas Besseres wusste er nicht.
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Sie wollte es nicht.
Doch gebrauchen konnte Priscilla sein Mitleid umso mehr. Mehr wie alles andere, was er ihr sonst immer gegeben hatte – brauchte sie ihn jetzt im Moment wohl. Denn davor – er hatte ihre zerbrochene Hoffnung wieder zusammengesetzt, er hatte sie in jedem Sturm gehalten und ihr gesagt, dass es ein Ende geben würde. Doch dieses Mal war nichts davon geblieben. Es würde kein Ende geben, denn ebenjenes war über die Französin gekommen. Der Sturm würde nicht vorbeigehen, denn er war bereits ausgeklungen. Dass diese Stille – dass dieses unwiderrufliche Ende so viel schlimmer wie jeder Kampf sein würde, hatte sich Priscilla nie vorstellen können. Irgendwo hatte sie immer daran geglaubt, dass das Ende ein Gutes sein würde; es musste ein Happy End geben, schließlich war dies hier ihr Leben. Dass es nie so gedacht war, erschütterte sie tief. Dass jeder Kampf auch bedeutete, die Wahl auf eine Veränderung zu haben, war gewesen, was Phobos ihr immer wieder aufgezeigt hatte. An was Priscilla hatte glauben müssen, denn wenn sie je überzeugt davon gewesen wäre, dass alles so bleiben würde, wie es war; sie wäre schon viel eher viel grundlegender zusammengebrochen. Der Boden unter ihren Füßen wäre verschwunden und sie in ein Loch gefallen, in welches kaum mehr die Sonne scheinen konnte.
Mittlerweile jedoch war es ohne Bedeutung, was hätte passieren können. Denn Peregrine war tot. Er hatte seinem Leben ein Ende gesetzt, welches sie zurückließ und welches ihr auch so den Boden unter den Füßen wegzog. Priscilla hatte gekämpft; mal hatte sie gewonnen und mal verloren. Jetzt jedoch gab es keinen Kampf mehr. Nichts mehr, wofür sie Phobos hätte brauchen können.
Nicht, weil es ihr besser ging – sondern weil keine Veränderung mehr möglich war. Der Tod blieb und ebendieser war es, welcher sie von nun an lange Zeit begleiten würde.
Sie bemerkte seinen betroffenen Blick und erwiderte ihn ungerührt. Als glitte er an ihr ab – und das tat er tatsächlich, denn wie konnte sich die Französin auf solche Banalitäten einlassen, wie das Aussehen von Phobos? Es hatte sie nie gestört, sowieso hatte sie sich kaum Gedanken darum gemacht, denn es waren andere und wichtigere Eigenschaften von dem Cellisten gewesen, auf welche es ihr angekommen war. Wenn sie mit einem Schönling hätte schlafen wollen, wäre sie niemals an dem Mann hängen geblieben, der ihr nicht mit geheuchelt verliebter Stimme Komplimente ins Ohr flüstern konnte. Sie hätte irgendjemanden gewählt, der in ihrem Alter war und dessen Lächeln umwerfend aussah. Trotz allem war es für Priscilla Phobos gewesen – wahrscheinlich weil sie darauf hatte vertrauen können, dass er sie nicht verriet und fallen ließ. Egal was war, er war da gewesen und das war so unfassbar viel wichtiger wie alles Äußere gewesen, was ihm fehlte.
Natürlich war sich die Moreau nicht bewusst, was sie selbst ihrem einzigen Vertrauten angetan hatte. Dass er an manchen Tagen genauso unter ihr gelitten hatte, wie sie unter ihrem Bruder im Leid ertrunken war. Denn wenn es ihr bewusst geworden wäre – es wäre ein tiefer Schlag gewesen, welchen Priscilla hinnehmen musste und erst jetzt dämmerte ihr, wie es für ihn gewesen sein musste. Auf sie zu warten und irgendwie darauf zu hoffen, dass es ihr schlecht genug ging, damit sie sich Phobos zu wendete. Es war kaum vorstellbar, dem Menschen, den man schätzte, etwas Schlechtes zu wünschen – und doch; wenn es der einzige Weg war, um ihm nahe zu sein?
Wenngleich sie sah, was sie angerichtet hatte – es bestärkte sie nicht, zu bleiben. An diesem Ort, von dem sie grade alles wegtrieb, weil er lediglich Erinnerungen der Vergangenheit bereit hielt und nun dazu noch ihr eigenes Gewissen unendlich schwerer werden ließ, dass sie unter dem Gewicht taumelte. Doch Priscilla konnte nicht mehr zusammenbrechen, denn das war längst geschehen. In dem Moment, in welchem sie ihren Bruder reglos vorgefunden hatte und sich sicher gewesen war, dass er sich nie wieder bewegen würde, war sie am Grund angekommen.
Sie gestand sich nur noch nicht ein, dass der Fall ein Ende gefunden und sie dabei zerstört hatte. Zu lange war die Französin über ihre Kraft hinaus stark gewesen, um nun mit einem Mal Schwäche zeigen zu können.
Es zeichnete Erschöpfung in den Augen der Französin ab, als sie Phobos ansah, wie er direkt hinter ihr stand. Nur langsam drehte sie sich ihm zu, während ihr Blick über sein Gesicht glitt – fast als fürchtete sie davor, was er als nächstes sagen würde. Welche ihrer schlechten Seiten nun dran war, wo die eine durch und bereits offen gelegt worden war. Sie wusste, dass es noch mehr gab. Sie wusste auch, dass ihr Verhalten unverzeihlich gewesen war. Doch Priscilla konnte daran nichts verändern und im Moment konnte sie es nicht einmal bereuen. Sie war so gewesen, um zu überleben. Sie hatte die Kraft von jemand anderen gebraucht, welchem Priscilla nie hatte danken können.
Einige Sekunden lang stand sie reglos in seinen Armen da. Jene Arme, welche ihr zuletzt so stark erschienen waren. Welche sie getragen und dadurch gerettet hatten. Leise rannen die Tränen über ihr Gesicht und doch löste sie sich, statt in seine Wärme einzutauchen. Zu oft hatte Priscilla ebenjene genommen und nur eisige Kälte hinterlassen, zu oft war sie gegangen ohne etwas zurück zu geben.
„Aber isch ge’e“, erwiderte sie mit belegter Stimme.
„Du ‘ast Rec’t. Isch tue Dir nischt gut.“ Mit zitternden Fingern legte sie ihre Hand an seine Wange und strich mit einem Daumen über seine Lippen, während sie ihn ansah und ein wenig lächelte. Auch wenn eine tiefe Traurigkeit in ihren Augen stand. Sachte hauchte Priscilla Phobos einen Kuss auf die Lippen, ehe sie sich löste, um zu gehen.
Sie hatte zu oft von ihm nur genommen. Und im Moment konnte sie sich um niemand anderen wie um sich selbst kümmern. Nur um ihre Trauer und ihr eigenes Leid.
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